#18 - Mit Ignoranten sprechen mit Peter Modler

Shownotes

Peter Modler ist Autor des Buchs "Mit Ignoranten sprechen". Im Podcast sprechen wir über die hohe Kunst der Kommunikation auf vertikaler und horizontaler Ebene und wie du erfolgreich mit Ignoranten kommunizierst und Meetings gestaltest.

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00:00:06: Ich bin mir ganz sicher, wenn wir uns überlegen würden, was ist denn der Faktor, der in Firmen ganz drastisch die Produktivität verbessern würde? Ist das die Einführung von SAP oder was ist es? Ich bin mir ganz sicher, dass der Faktor, der das am schnellsten hinkriegen würde, ist die firmeninterne Schulung von Moderatorinnen und Moderatoren.

00:00:25: Peter Modler ist Autor des Buchs "Mit Ignoranten sprechen". Im Podcast sprechen wir über die hohe Kunst der Kommunikation auf vertikaler und horizontaler Ebene. Wie du erfolgreich mit Ignoranten kommunizierst und Meetings gestaltest. Herr Modler, herzlich willkommen.

00:00:43: Hallo, Herr Diehl.

00:00:43: Erstmal großen Dank von meiner Seite. Ich musste 50 Jahre alt werden, um das erste Mal über vertikale und horizontale Kommunikationssysteme zu erfahren. Erzählen Sie uns doch da vielleicht einleitend mal was drüber. Was ist das? Was kann ich mir darunter vorstellen?

00:01:02: Diese Begriffe sind nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern auf dem von Deborah Tannen. Eine Soziolinguistin an der Georgetown University. Die hat Anfang der 90er Jahre nichts anderes machen wollen als rauskriegen, wie kommunizieren eigentlich Kinder beim Spielen? Dann hat die da eine große Zahl von Versuchsgruppen eingerichtet und ganz genau beobachtet. Filmaufnahmen, Tonaufnahmen, Wörter gezählt. Was halt die Linguisten so machen. Und dabei hat sie eine ganz bahnbrechende Entdeckung gemacht. Sie hat nämlich gemerkt, dass es da eine Gruppe von Kindern gab, die mussten immer, wenn die angefangen haben zu spielen, dann mussten die erstmal die ersten 20, 30 Minuten ihres Spiels damit verbringen, die Rangordnung zu klären. Das hieß nicht, dass jeder die Nummer eins sein wollte. Auch der vorletzte Platz war okay. Es musste aber ausgehandelt und für alle transparent sein. Sobald das abgeschlossen war, konnten die ganz großartige, fantasievolle, stundenlange Spiele zusammen spielen. Wenn aber diese Phase der Rangklärung verhindert wurde, durch irgendeinen externen Faktor gestört, dann war das, wie wenn man denen den Stecker gezogen hat. Kein Benzin mehr im Tank, nicht mehr motiviert. Alles langweilig. Die Gruppe ist auseinandergelaufen. Sobald diese Phase der Klärung aber wieder geklappt hat, da waren die hochmotiviert, in Sicherheit und voll dabei. Dieses Kommunizieren hat Tannen als vertikales Kommunizieren bezeichnet. Es gab aber noch andere Gruppen. Die haben diese Phase der Klärung überhaupt nicht nötig gehabt. Die konnten ab der ersten Sekunde zack voll ins Spiel, voller Begeisterung, hochmotiviert, ab der ersten Sekunde dabei. Und es war von Anfang an ein egalitäres Kommunizieren. Also ich geb dir eine Information. Du gibst mir eine Information. Irgendwas kannst du nicht besonders gut. Da mache ich kein großes Ding draus, denn du weißt auch von mir was, was ich nicht so gut kann. Da machst du auch keine große Angelegenheit draus. Und dieses Kommunizieren, egalitärer Informationsaustausch unter Gesichtswahrungsaspekten, das hat Tannen als horizontal bezeichnet. Und jetzt können Sie sich unschwer vorstellen, wenn Sie das mal hochrechnen in die Arbeitssituation, jeden Tag in Firmen und Organisationen. Das kann ziemlich schnell ein Problem werden, wenn die Horizontalen auf die Vertikalen treffen und da aneinander vorbeireden.

00:03:32: Das heißt, horizontal ist wirklich im wahrsten Sinn des Wortes das Gespräch, der Dialog auf Augenhöhe?

00:03:39: Ja.

00:03:40: Und die Vertikalen, also bevor die sich überhaupt erstmal auf ein Gespräch einlassen können, müssen die erstmal klären, bin ich über dir, bin ich unter dir, sind wir gleichgestellt? Wobei es nicht darum geht, immer zu sagen "Ich bin unbedingt über dir." Also es geht nicht um Rang- oder Machtspiele, sondern es geht um die Anerkennung eines Status innerhalb der Gruppe. Das muss geklärt sein. Erst dann können die sich überhaupt auf inhaltliche Gespräche einlassen.

00:04:06: Genau das ist der Punkt. Damit es da keine Missverständnisse gibt, beide diese Systeme können inhaltlich ganz hervorragende Arbeit leisten. Nur brauchen die, damit sie das können, beide was Unterschiedliches in der Eingangsphase. Die Vertikalen brauchen eine Rangklärung. Solange das nicht passiert ist, sind die beschäftigt mit der Rangklärung und kennen das vielleicht auch in Meetings. Da gibt es dann manche Leute, die machen alle möglichen Sachen, nur die gehören ja überhaupt nicht zum Thema. Es ist oft aus einer gewissen Ratlosigkeit oder manchmal sogar Verzweiflung, weil sie endlich mal wissen, wer ist hier eigentlich was? Das heißt, die Vorbedingung, damit das Meeting klappt, ist diese Rangklärung. Das kann man oft sogar ganz kurz machen. Also ich leite ein Meeting, ich bin die Moderatorin oder der Moderator. Und dann sage ich eben am Anfang nicht nur ich bin Paul oder Paula, sondern "Hallo zusammen. Ich bin die Paula. Ich bin die Moderatorin dieses Meetings." Da sind die Vertikalen schon entspannt, weil damit ist klar okay, das ist die Nummer eins. Aber wenn Paula anfängt und sagt "Hallo zusammen, ich bin die Paula. Heute ist so wahnsinnig schönes Wetter, bin ja froh, dass unser Klimaanlage funktioniert.", warten die Vertikalen die ganze Zeit "Ja und weiter? Kommt noch was? Ne?" Und Paula macht Smalltalk und lächelt und macht das, was unter den Horizontalen normal ist, nämlich sich Zeichen der Zugehörigkeit geben. Aber wenn sie den Vertikalen nicht klar macht, dass sie die Moderatorin ist. Dann fangen die irgendwann mal an, zu stören, weil sie endlich mal wissen wollen, was ist denn jetzt hier? Wer hat denn jetzt hier? Wer ist denn jetzt hier die Nummer eins? Also nicht aus Gemeinheit, sondern aus einem Bedürfnis der Orientierung.

00:06:01: Genau das wollte ich gerade sagen. Ich habe das beim Hören Ihres Buchs so als... das ist wirklich ein Bedürfnis. Ist gar nicht böse gemeint. Weil ich würde mich auch eher der horizontalen Fraktion zugehörig fühlen, zu sagen, naja, jetzt lassen wir mal über Inhalte sprechen und das eher auch so als rüpelhaft oder auch als ein bisschen steinzeitlich wahrnehmen. Aber ich habe das dann, nachdem ich es mal verstanden hatte, gesagt, okay, es ist einfach ein Bedürfnis von Menschen, die primär in diesem Kommunikationssystem unterwegs sind. Die wollen und müssen / brauchen erst diese Rangklärung, damit die überhaupt dann im Anschluss auch auf eine Ebene, auf eine inhaltliche Ebene einsteigen können.

00:06:41: Genau das ist der Punkt. Ich würde sogar sagen inzwischen, es gibt da fast sowas wie eine inhärente Unschuld. Also man sollte vielleicht eher von von Bedürfnissen reden. Statt von Bösen, denen immer böse Absichten unterstellen. Also natürlich gibt es die. Es gibt natürlich solche Idioten, die tatsächlich panzermäßig die Leute plattwalzen wollen. Die gibt es, aber das ist die Minderheit. Mein Eindruck ist inzwischen, die Mehrheit von vertikalen Chefinnen und Chefs, die es anderen ein bisschen schwer machen, die sind nicht einfach bösartig. Die sind naiv, weil sie noch nie drüber nachgedacht haben, dass es vielleicht auch noch ein anderes Kommunikationssystem gibt als ihres.

00:07:28: Das gilt hier aber für die anderen genauso.

00:07:30: Und es gilt für die andere Seite ganz genauso. Sie haben Recht. In Wirklichkeit sind diese beiden Systeme, wenn Sie so eine Übersetzungshilfe haben, dann können die ein ganz großartig zusammenarbeitendes Dreamteam sein. Aber wenn es diese Übersetzungsanstrengung gar nicht gibt, sondern wenn jede Seite auf ihrem eigenen besteht und die andere abwertet, dann wird's bitter.

00:07:55: Ja. Eines Ihrer Bücher heißt ja "Mit Ignoranten sprechen". Das hat bei mir ein bisschen gedauert, festzustellen, dass der Ignorant gar nicht unbedingt derjenige nur ist, der im vertikalen System sitzt, sondern auch der, der horizontal unterwegs ist. Weil auch der möglicherweise ignoriert, dass es ein anderes Bedürfnis auf der anderen Seite gibt. Also gibt es eigentlich die Ignoranten auf beiden Seiten?

00:08:18: Genau.

00:08:19: Und jetzt haben wir ja eben in einem der Bücher, da nehmen sie ja den US Wahlkampf ein bisschen auseinander. Und da haben wir natürlich einen prototypischen Vertreter des vertikalen Systems und einen prototypischen Vertreter wahrscheinlich auch des horizontalen Systems, nämlich Donald Trump, Hillary Clinton. Können Sie da noch was zu sagen? Was wenden die dann für Strategien an? Das nehmen sie ja minutiös fast schon auseinander. Aber wie kommunizieren dann Vertreter des einen und des anderen Systems? Und warum ist vielleicht auch jemand, der eher in einem horizontalen System unterwegs ist, ja, man könnte fast den Eindruck gewinnen, total hilflos gegenüber diesen Strategien des vertikalen Systems?

00:09:07: Na also. Ich würde es zunächst mal so charakterisieren. Das, was man dann da beobachten kann. Man kann das ja zum Glück heute noch auf YouTube sich anschauen, wie damals diese Präsidentschaftsdebatten zwischen Clinton und Trump abgelaufen sind. Und das ist nun mal extrem öffentlich. Also riesige Säle, jede Menge Kameras, extrem öffentlich. Und dieses Öffentliche und Ausgestellte, das fällt horizontalen Leuten ein bisschen schwerer als Vertikalen. Das heißt nicht, dass eine der beiden Seiten grundsätzlich die aggressivere ist. Beide diese Systeme haben ihre eigenen Aggressionsformen. Und manchmal denke ich sogar die Aggressionsformen, die es im vertikalen System gibt, mit denen kann man leichter was produktiv machen, weil die so deutlich und so offensichtlich sind. Während im horizontalen System sind die Aggressionen, die es da gibt, auch betriebliche Aggressionen, die sind eben indirekter und sind schwerer öffentlich zu erkennen. Aber um mal auf dieses Beispiel Clinton und Trump zu kommen. Innerhalb dieses vertikalen Systems wird in drei Stufen eskaliert. Bei uninteressanten Randfragen wird nicht eskaliert. Aber wenn es wirklich um was geht, zum Beispiel das Budget, die Zahl meiner Mitarbeiter, mein Gehalt, die Größe meines Büros oder irgendsowas, dann skalieren vertikale Leute in drei Schritten und da ist leider die ineffiziente und unwirksamste Ebene, das sogenannte High Talk.

00:10:53: Der High Talk, das ist die Ebene, auf der ganz viele Detailargumente ausgetauscht werden. Fachwissen. Logik. Ich setze mich wirklich mit der Position des anderen auseinander und widerlege sie. Ich nehme mir ist also wirklich eine intellektuelle Anstrengung. Es ist verbal. Es ist eine intellektuelle Anstrengung. Meine Bildung kommt darin vor. Das Tragische ist nur... Das ist übrigens das, was man schon auf dem Gymnasium lernt und dann erst recht an der Hochschule. Das sind alles Trainings in High Talk, die da stattfinden. Aber das Tragische ist, dass mir dieser High Talk nicht viel nützt. Wenn auf der anderen Seite jemand ist, der mit kurzen, knappen, unoriginellen Formulierungen darauf antwortet und das womöglich sogar noch wiederholt. Also ich argumentiere und argumentiere und argumentiere. Und dann sagt mir jemand im Meeting auf der anderen Seite "Das glauben Sie doch selber nicht." oder "Ist doch Quatsch." Und dann hole ich noch ein Argument raus. Dann sagt er ungerührt einfach nochmal "Ist doch Quatsch." Dann oft, dann brenne ich ein rhetorisches Feuerwerk sondergleichen ab und es ist super brillant, was ich da wieder drauf habe und zitiere Plato auf Altgriechisch. Und dann sagt er "Quatsch, habe ich ja eben schon gesagt. Ist doch Quatsch." Und bei vielen Leuten, die sich im High Talk super auskennen und mehrere Uniabschlüsse haben und großartige Rhetoriker sind und wenn da ihnen aber so ein beinharter Typ gegenübersitzt, der phantasielos und kurz und unoriginell immer wieder ungerührt dasselbe sagt und kein einziges Argument bringt.

00:12:49: Das führt leider dazu - und das war bei Clinton auch so - dass die Leute aus dem Gleis gehauen werden. Die können das gar nicht fassen, was ihnen gerade passiert. Aber jemand wie Clinton hat in Yale nicht gelernt, was man mit jemandem macht, der nicht argumentiert. Sagt sie übrigens selber. Hat ja hinterher ein Buch geschrieben, ist leider nie auf Deutsch erschienen, "What happened?". Da sagt Clinton, sie kam mit den blöden, simplen Formulierungen von diesem Heini nicht klar. Ja, nur muss man sich dann schon mal überlegen, also, wie hat sie sich eigentlich trainiert auf sowas? Weil das war schon immer klar, dass ein Trump genau das machen wird. Der Gipfel der Sache ist also nicht der intellektuelle High Talk, sondern der wird getoppt von einem Basic Talk. Die nächste Eskalationsstufe, die effizienter ist im Konflikt gegenüber dem High Talk, ist der Basic Talk und Basic Talk bedeutet einfach nur tatsächlich Basic. Alles unter zehn Wörtern, keine Relativsätze. Originell muss es nicht sein. Am besten mit bedeutsamen Pausen zwischen jedem Wort. Und wenn ich das Gefühl habe, okay, die Gegenseite gibt immer noch nicht auf.

00:14:05: Dann sage ich einfach dasselbe nochmal. Ach, und es reicht immer noch nicht, dann sage ich dasselbe noch mal. So und wenn es immer noch nicht reicht, dann eskaliere ich auf die höchste Steigerungsstufe, die die Vertikalen draufhaben, so wie das Trump zum Beispiel auch gemacht hat. Clinton steht am Rednerpult und redet und redet und redet super argumentativ, detailversessen. Sie weiß echt Bescheid, sie hat alles präsent. Und dann steht er von seinem Rednerpult irgendwann mal läuft der los, läuft quer durch die ganze Bühne und macht dabei die ganze Zeit abfällige Handbewegungen über Clinton. Die Scheibenwischer-Bewegungen mit der flachen Hand und schüttelt den Kopf und läuft hinter der stehenden Clinton vorbei. Sie argumentiert unentwegt weiter. Dann macht er kehrt und als er das zweite Mal hinter ihrem Rücken vorbeiläuft, klopft er ihr im Weitergehen auch noch so ein bisschen paternalistisch auf die Schulter und geht wieder zu seinem Platz. Und das macht Clinton total fertig. Hat sie auch geschrieben hinterher. Diese miese Aktion macht Trump im Town Hall Meeting in der zweiten Präsidentschaftsdebatte nicht einmal, er macht sie in den 90 Minuten, die das ganze Ding dauert, viermal. Und Clinton fällt kein einziges Mal ein Mittel ein und darüber geht sie kaputt.

00:15:34: Das heißt Clinton, so ein bisschen gefangen in ihrem High Talk, den sie wahrscheinlich in Yale und auch mit ihren sich umgebenden Beratern bis zur Perfektion beherrscht. Und Trump, um das mal einzuordnen, so mit seinem Basic Talk, was wir eben gemacht haben, war ja auch schon Basic Talk. "Das kann doch so nicht sein. Das stimmt doch nicht. Es ist doch nur erfunden."

00:15:54: Genau. "Das rechnet sich nicht!"

00:15:55: "Das rechnet sich nicht." (lacht) "Das haben wir schon probiert." Das ist ja auch ein Klassiker.

00:16:03: "Klappt nie!"

00:16:03: Sogar nur zwei Worte! (lacht)

00:16:07: "Das können Sie niemandem erklären."

00:16:09: Wenn man dann noch eine Pause dazwischen macht. "Klappt - nie."

00:16:13: Genau. (lacht)

00:16:16: Und dann noch ein bisschen Move Talk dazu. So ein bisschen an der... Also irgendwas gestikulierend.

00:16:23: Genau.

00:16:23: Dann bringt man - und das beschreiben Sie auch wirklich toll in Ihrem Buch - ist, dass sich dann die High Talker im wahrsten Sinn des Wortes um Kopf und Kragen reden. Sie können damit gar nicht umgehen. Sie haben diesen Impuls, dann vielleicht noch schneller zu reden, es nochmal zu erklären. Diesmal in besseren Worten, weil "Hey, mein geistreiches Argument ist auf der anderen Seite noch nicht angekommen. Okay, als gut erzogener, gut gebildeter Mensch ist es jetzt meine Aufgabe, es noch mal so umzuformulieren, dass es auf der anderen Seite ankommt." und da perlt alles einfach nur ab.

00:16:59: Genau. Die bittere Wahrheit ist halt, wenn ich mir diese drei Steigerungsstufen anschaue, der High Talk, der vom Basic Talk getoppt wird, der Basic Talk, der vom Move Talk getoppt wird... dann ist die bittere Wahrheit, wenn einmal die effizientere Ebene betreten wurde von der Gegenseite, dann kann ich nicht mehr auf der weniger effizienten Ebene bleiben. Ich muss auf dieselbe Effizienzebene hoch. Also sobald der anfängt, ohne jede Begründung, womöglich auch unsachlich, vielleicht sogar persönlich so einen kurzen Satz zu sagen, dann sollte für mich klar sein, okay, jetzt ist halt auch vorbei. Lasst es sein mit Begründen. Hör auf damit! Du musst jetzt auch eskalieren auf Basic Talk. Also, der sagt, "das glaubt Ihnen niemand." - Nichts mehr begründen als Antwort. Dann muss ich dem sagen, "Das werden mir viele glauben." Ist auch nicht besonders originell. Ich verneine seine Behauptung. Ich nehme ja sogar einen Teil seines Wortlauts. Das genügt aber. Ich mache das ja aber nicht, weil es so toll ist, auf Basic Talk und auf Move Talk zu eskalieren, sondern ich will ja wieder zurück zum High Talk. Ich will ja wieder zurück zum Argument und das werde ich dann merken, wenn der dann aufgibt mit seinem Basic Talk und vielleicht eine Frage stellt. Fragen sind toll, weil Fragen werden dann... es ist ein Indiz dafür, dass er jetzt bereits bereit ist, wieder konstruktiv zu werden. Dann kommen wir wieder zurück zum High Talk. Und das ist ja der Sinn der Sache. Es gibt allerdings Leute, die kommen in Meetings rein und haben von Anfang an auf Move Talk eskaliert. Die kommen schon rein und voll eskaliert. Und was machen dann die Horizontalen, die den High Talk so sehr lieben? Die entscheiden sich dann oft, sie ignorieren das lieber. Weil das finden sie einfach zu blöd. Ich ich lass mich doch auf dieses scheiß Niveau nicht herab. In Wirklichkeit ist es gar kein Herab, sondern es ist eine Verweigerung der politischen Effizienz.

00:19:22: Also Move Talk ist ja dann wahrscheinlich... Sie sagten ja, im vertikalen System gibt es das Bedürfnis, Rang zu klären, aber auch Revier zu klären und / oder abzugrenzen, sicherzustellen. Also, ich habe mir da bildlich mal vorgestellt, so einen alten Silberrücken, der kommt erstmal rein. Dann breitet der sich erstmal aus, dann setzt der erstmal Duftmarken, ohne irgendwas zu sagen. Hängt wahrscheinlich sein Jackett über den Stuhl neben was auch immer, ja, für einer wichtigen Position, oder nahe der Präsentationstechnik. Oder breitet seine Unterlagen schon mal schön auf dem Tisch aus. Das sind ja so typische Anzeichen von Move Talk, oder?

00:20:01: Klar, das ist so. Und das sollte ich halt auch entschlüsseln als Kommunikation. Ich ich sollte nicht so naiv sein, zu glauben, nur weil der nichts Verbales macht, würde er nichts sagen. Doch er sagt jede Menge. Was dabei eine ganz große Rolle spielt, das ist die Frage des Tempo. Die Frage der Geschwindigkeit. Weil in diesen beiden Systemen horizontal und vertikal ein unterschiedliches Verständnis von Tempo herrscht. Das horizontale System ist ein Hochgeschwindigkeitssystem. Da bewegt man sich relativ schnell. Da wird auch relativ schnell geredet. Die Silbenzahl pro Sekunde ist relativ hoch, fällt auch nicht weiter auf, weil das machen ja alle. Nur im vertikalen System ist es etwas völlig anderes. Ich bin vor ein paar Monaten mal in einer Klinik gewesen, in einer Besprechung von Oberärzten. Da sitze ich in dieser Runde, hör da zu, sechs, sieben Oberärzte. Und da hören wir, wie auf dem Gang jemand mit schnellen kleinen Schritten vorbeiläuft. Wir konnten gar nicht sehen, wer das ist. Aber da läuft jemand mit schnellen, kleinen Schritten vorbei. Dann sagt einer der Oberärzte, "Wieder so ein Studi unterwegs. So ein Studi. Wieder so ein Studi unterwegs." Okay, dann war das Meeting vorbei.

00:21:20: Dann habe ich den gefragt, als alles vorbei war. Sagen Sie mal, Sie haben da vorhin diese Bemerkung gemacht, "Wieder so ein Studi." Sie konnten doch gar nicht sehen, ob das ein Studi ist. Wie kommen Sie darauf, dass das eine Studi war? Dann sagt er, "Ja, hallo. Wenn jemand so über den Gang rennt, dann ist das ein Studi oder ein Praktikant oder irgend so ein Arzt in der Ausbildung vielleicht, maximal." Aber wieso denn? Dann sagt er, "Das ist doch ganz einfach. Wenn das jemand Wichtiges wäre, da rennt der doch nicht." Und das ist der Punkt. Weil für Vertikale ist die herabgesetzte Geschwindigkeit in Bewegungen und sogar im Sprechen, das ist eine Machtbotschaft. Dafür gibt es Respekt. Während, wenn jemand in einer hohen Silben-Geschwindigkeit auf Sie einredet oder sich vielleicht sogar mit schnellen kleinen Schritten in einem Raum zu Ihnen hin oder von Ihnen wegbewegt, dann heißt es für die "Nicht wichtig. Kannst du vernachlässigen." Total frustrierend für Leute, die faktengesättigt ihre Argumentation unterbringen wollen und dann ein Ding nach dem anderen raushauen. Aber für viele Vertikale geht es leider zum einen Ohr rein und zum anderen raus.

00:22:41: Das heißt, woran erkenne ich diese, vielleicht nochmal kurz zusammengefasst, woran erkenne ich diese vertikalen Vertreter oder das Bedürfnis nach Klärung des Rang und Revieres? Woran erkenne ich solche Vertreter und Leute?

00:22:54: Stellen wir uns mal vor, wir hätten hier ein Zoom-Meeting mit einer Menge Leute und dann poppen da jetzt unsere kleinen Bildkacheln auf und da steht unten drunter "Susanne", "Tim", "Bernd", "Geschäftsführung Firma Müller / Meier", "Otto", "Karen". So. (lacht) So, und jetzt die Preisfrage. Wer ist denn da wahrscheinlich der Vertikale. Na also, die Leute mit dem Vornamen wahrscheinlich nicht. Ja, aber der eine Typ, der da unter der Bild Kachel stehen hat "Geschäftsführung Firma Müller / Meier", da ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass das wahrscheinlich ein Vertikaler ist. Und wie sieht der jetzt diese ganzen Zoomkacheln? Als allererstes guckt er sich mal an, was steht denn da unten drunter? Ach, lauter Vornamen. Da steht überhaupt keine Firmenbezeichnung und auch keine Rangbezeichnung. Bei niemandem. Ja, da hat scheinbar keinen Rang außer mir. Damit bin ich also die Nummer eins jetzt hier. Egal, ob es da irgendjemanden gibt, der das jetzt hier moderiert oder nicht. So fängt's schon mal an, ja? Oder wenn Sie das jetzt mal umlegen auf einen Meetingraum, einen präsentischen Meetingraum. Das Meeting fängt an um drei und zehn vor drei, vielleicht auch fünf vor drei kommen manche Leute rein. Schnelle, kleine Schritte, kurzer Blick zu den anderen, freier Platz, hinsetzen und zack, in die Sitzungsunterlagen sich rein vergraben. Weil das Thema der Sitzung wird ein anspruchsvolles Thema sein und Punkt drei, habe ich überhaupt meine Statistik dabei usw.

00:24:41: So machen es Horizontale. Vertikale kommen nicht um zehn vor drei, die kommen frühestens um fünf vor drei, in der Regel um drei oder vielleicht sogar fünf nach drei. Dann kommen die rein, gucken sich erstmal in aller Ruhe um, laufen langsamen Schrittes - übrigens auch dann, wenn die Sitzung schon angefangen hat - laufen langsamen Schrittes, begrüßen unangemessen laut irgendjemanden, "Ach! Ich hab gedacht, du wärst in Urlaub! Jetzt bist du doch schon da. Aber wo war denn das? Ach so! Moment mal, Madeira? Warst du nicht...", obwohl die Sitzung schon angefangen hat. So, jetzt da hinten, da hockt dieser wahnsinnig mächtige Controller. Jetzt gehe ich erst mal zu diesem Controller und unterhalte mich ein bisschen mit dem. Ich weiß genau, ich werde beobachtet, alles glotzt, aber wir grinsen. Vielleicht sogar noch ein bisschen Schulterklopfen. So, dann geh ich auf die Seite und sag, "Wo setzen wir uns denn hin?". Wir, nicht ich. Wo setzen wir uns denn hin? Und dann kommentiere ich den Akt meines Hinsetzens, als müsste das jetzt alle wahnsinnig interessieren. "Da setzen wir uns jetzt mal hierhin," Stuhl herrutschen, draufsetzen und dann werden die Sitzungsunterlagen großflächig vor mir auf dem Platz ausgebreitet. Und das bedeutet, dass für die Horizontalen, wenn die in den Raum reinkommen - Deswegen erzähle ich diese kleine Szene. Weil das ist so was wie ein diagnostisches Tool, woran ich erkennen kann am Anfang von Meetings, wer gehört in welches System.

00:26:13: Weil die horizontalen Leute, für die hat die Strecke zwischen Türschwelle und Sitzplatz, diese Strecke hat keine Bedeutung. Weil die gehen ja alle davon aus, das wird ja nachher verbal werden und da kann ich ja dann meine inhaltliche Brillanz zeigen. Also fängts erst an mit der Kommunikation, wenn das Meeting anfängt und die Zeit vorher ist eigentlich nicht wichtig. Schon gar nicht meine Bewegung. Das ist bei den Vertikalen aber völlig anders. Die fangen nämlich wirklich an der Tür, an der Türschwelle an zu kommunizieren. Nicht erst, wenn sie sitzen. Nur ist es eine andere Form der Kommunikation als die, die Horizontale erwarten. Es ist nämlich eine choreografische Kommunikation, die verstehen diesen Raum, diese Grundfläche als berufliche Bühne. Und deswegen laufe ich hier auch nicht schnell, weil ich führe hier jetzt gerade ein Stück auf. Ja, da unten hockt das Publikum. Ich laufe also nicht schnell. Ich bewege mich langsamer bis zum Stehenbleiben. Ich rede auch lauter, als eigentlich nötig wäre, und ich kommentiere mich selbst. So, und dann hocke ich hin, und als letzten Akt der Revierinbesitznahme breite ich meine Unterlagen viel größer aus, als es eigentlich nötig wäre. Und damit ist dann meistens schon klar, wer in welches System gehört.

00:27:34: So, und jetzt kommen wir mal auf den, der möglicherweise als High Talker davor steht, vorne steht, zum Meeting eingeladen hat und mit so einer Situation ja ein bisschen überfordert ist. Wenn ich das jetzt alles richtig einordne, den größten Fehler, den ich machen könnte, wäre das komplett zu ignorieren, weil da spricht ja jemand zu mir.

00:27:51: Ja.

00:27:53: Also was mache ich dann? Es ist schon auch echt echt schwer, weil ich sollte es nicht ignorieren, weil damit würde ich dem ja dann auch irgendwie dieses Bedürfnis, das anscheinend da gerade an mich herangetragen wird, "Ich muss erstmal Rang klären, ich muss erstmal Rang klären.", das würde ich ja ignorieren.

00:28:10: Also Herr Diehl, wenn Sie... Ich meine, das sollte ich mir vorher wirklich klar sein, wenn ich da so eine Präsentation mache oder wenn ich sogar das Meeting leite oder moderiere, da sollte ich mir schon vorher darüber im Klaren sein, wer werde ich denn dann dort sein? Also bin ich da Andreas? Oder bin ich der Moderator? Das ist ein ganz großer Unterschied. Also für Vertikale jedenfalls. Das bedeutet, wenn ich der Moderator bin, dann sollte ich damit rechnen, dass die Vertikalen den Raum anders betreten als die Horizontalen. Dann sollte ich denen schon möglichst früh ein Zeichen geben, dass ich hier jetzt Nummer eins im Raum bin, zum Beispiel, indem ich jeden Einzelnen begrüße. Falls ich die noch nicht kenne, falls es lauter neue Leute sind, lauter unbekannte Leute, dann sollte ich mich mit meinem Rang vorstellen. Und dann erst mit meinem Namen. Also mich nicht vorstellen mit "Guten Tag, ich bin Andreas. Schön, dass Sie da sind." Das wäre eine horizontale Begrüßung in der Hoffnung, dass der antwortet "Ich bin der Walter. Hallo. Ich komme vom sowieso Stadtviertel. Ich bin mit dem Fahrrad da." Das wären sozusagen die Zeichen der Zugehörigkeit ausgetauscht. Dann wäre für beide klar, okay, wir gehören zum selben System. Aber wenn es ein Vertikaler ist, dann sollte ich dem sagen, "Guten Tag, ich bin der Moderator dieses Meetings. Mein Name ist Andreas Diehl. Suchen Sie sich doch einen Platz aus. Noch können Sie sich's aussuchen. Nur nicht am Kopf. Da sitz ich." So, dann ist der schon eingenordet. Dann weiß er schon Bescheid, okay. Klar. Alles klar.

00:29:50: Dann weiß er es schon. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass der mir nachher ins Wort fällt, schon mal deutlich reduziert. Weil er weiß ja, dass das die Nummer eins ist. Ist ja übrigens geschlechtsunabhängig. Also, das kann natürlich nicht nur... Das funktioniert nicht nur bei Andreas, funktioniert auch bei Brigitte, Monika oder sonst irgendwer. Wenn ich es vergessen habe, das zu machen und das Meeting läuft und jetzt ist dieser Typ, der da vielleicht sogar noch später kam, jetzt fällt er mir dauernd ins Wort. Labert irgendein sinnloses Zeug. Ist bei Punkt fünf, wir sind aber erst bei Punkt eins der Agenda. Ja, dann muss ich ihm nachträglich den Rang klären. Ich kann das immer machen. Ich kann ihm dann irgendwann mal sagen, "Ja, Herr Sowieso. Ich bin der Moderator dieses Meetings. Sie sind Teilnehmer des Meetings. Unsere Agenda ist so. Sie reden über Punkt fünf. Jetzt reden wir über Punkt eins." - "Ja, das ist aber wahnsinnig wichtig. Und es muss doch dieser Punkt fünf, der ist... Ich verstehe sowieso nicht, warum der auf Punkt fünf ist!" Und dann sage ich "Sie sind Teilnehmer des Meetings. Ich bin der Moderator. Wir halten uns an die Agenda." Was manche Horizontale dann machen würden, ist, sie fangen an, sich zu rechtfertigen oder zu begründen. Damit bin ich auf der Road to hell. Also "Sie wissen ja, ich bin der Moderator. Ich habe mir das auch nicht selber ausgesucht. Die Geschäftsführung wollte, dass ich diese Funktion mache." Da kann man geradezu körperlich merken, wie man gerade abschifft bei den Vertikalen...

00:31:38: "Sowie fände ich es besser, wenn Sie das Meeting leiten."

00:31:41: (lacht) Ja, ja, das wird er dann sowieso machen.

00:31:46: Das fühlt sich ja extrem ungewohnt an für jemanden, der eher im horizontalen System unterwegs ist. Aber so diese ganz langen Sätze, diese teilweise banalen Feststellungen wie, "Sie sind Teilnehmer" oder "Sie sind Geschäftsführer. Ich bin Moderator des Meetings. Wir sind jetzt bei 0.5." Das fühlt sich ja erst mal extrem strange an für jemanden, der permanent noch mit einer hohen Wortdichte, hoher Geschwindigkeit sich eigentlich permanent auf High Talk bewegt. Gibt es irgendwelche Strategien? Wie kann ich das? Kann ich das trainieren?

00:32:25: Ja, klar.

00:32:25: Das zu erkennen ist ja eine Sache. Und dann aber zu sagen, ja, was mache ich denn jetzt? Also was würde ich zum Beispiel machen in der Situation? Das Meeting hat angefangen, ich habe mich bei jedem vorgestellt und dann platzt um fünf nach noch jemand rein, um verhält sich genau auf diese Weise, wie Sie es gerade beschrieben haben. Also der Silberrücken streift durch den Raum, markiert erst mal die Ecken. So stelle ich mir das gerade bildlich vor. Und dann setzt er sich schön in seinen Sessel. Sehr geräuschvoll. Was mache ich jetzt mit ihm?

00:32:53: Also wenn so ein Typ zu spät kommt und ich bin damit beauftragt, dieses Meeting zu leiten, dann muss ich genau dem so früh wie möglich klarmachen, dass ich dieses Meeting leite und nicht er. Nur weil er vielleicht ein Silberrücken ist oder zufällig ein Geschäftsführer ist. Sonst zerschießt er mir das Meeting. Das heißt, er kommt rein. Da fängt er an, seinen Bühnenauftritt zu machen. Den muss ich ihm jetzt leider kaputt machen. Das heißt, ich merke, er fängt an seine Bühnentour. Dann stehe ich mal auf, geh langsam zu ihm und sag ihm, "Guten Tag, Herr Sowieso, ich bin der Moderator des Meetings. Nehmen Sie doch Platz. Wir wollen anfangen." Dann würde er vielleicht noch ein bisschen rumreden, wenn ich sag "Ja, ich bin der Moderator. Wir wollen anfangen. Nehmen Sie doch Platz.", muss ich vielleicht noch mal sagen. Wenn er hart gesotten ist. Aber er wird dann Platz nehmen. Das wird im Übrigen meine Autorität gegenüber dem Rest der Gruppe, der das ja genau beobachtet hat, enorm steigern.

00:33:57: Also so ein bisschen wie ein Showdown. Also kann man fast schon sagen.

00:33:59: Ich sag mal auch so, weil ich meine besonders schwierig ist, es gibt ja in vielen Organisationen, da hat sich das ja eingebürgert, dass es für unterschiedliche Projekte auch immer wechselnde Moderatorinnen oder Moderatoren gibt. Und die strukturelle Komponente dabei ist, dass die Moderatorin oder der Moderator in einem Meeting, das sie selbst moderiert oder er moderiert, da ist die für die Dauer des Meetings, wenn es 30 Minuten geht oder drei Stunden, ist egal, aber für die Dauer dieses Meetings ist sie die Nummer eins im Raum. Auch gegenüber Leuten, die außerhalb des Meetings ihr rangmäßig überlegen wären. Das ist manchmal nicht einfach durchzuhalten. Also mein Chef hat mir den Auftrag gegeben, moderier doch du das. So, jetzt labert er aber nachher einen unendlichen Mist. Und dann muss ich ihn unterbrechen und ihm sagen Sie sind der Geschäftsführer, aber ich bin der Moderator dieses Meetings, und wir müssen das jetzt hier anders machen.

00:35:04: Also es ist eigentlich sehr einfach, aber doch gleichzeitig sehr schwierig. Und trotzdem ist es sehr einfach, weil ich rede einfach nur in feststellenden, sehr einfachen Sätzen.

00:35:14: Ja, genau. Das ist was ganz Wichtiges, Herr Diehl, dass ich das nicht bewerte. Und auch nicht zeige, ob es mich ärgert. Sondern ich rede immer... Es ist, wie wenn ich mir, bevor ich dieses Meeting betrete, so was wie einen Rollenmantel übergezogen hätte. Und jetzt komm ich da rein und wenn ich gute Laune habe oder in einem guten inneren Zustand bin, dann kann ich da einem, der da drin sitzt, zu dem kann ich mal hingehen und mal kurz meinen Rollenmantel aufmachen und ihm zeigen, "Hey, nur, dass du's nicht vergisst. Ich bin Andreas." Und dann mache ich den Rollenmantel wieder zu. Wenn ich schlechte Laune habe oder wenn es mir dreckig geht oder ich habe so einen Hangover, dann lasse ich vielleicht für die Zeit der Sitzung meinen Rollenmantel komplett zu. Aber ich spreche aus dieser Rolle raus. Und das ist für... Erstens ist es für die vertikalen Leute ganz normales Business. Das machen die nämlich laufend. Und das erkennen die, "Aha. Gut. Ja, das ist die Moderatorin. Also was soll ich der jetzt hier Schwierigkeiten machen?" und die andere Seite dabei ist, dass mir dieser Rollenmantel einen ganz enormen Schutz vor Verletzungen gibt. Also, ich führe das Meeting und dann sagt mir jemand, "Also, wenn jemand inkompetent ist beim Führen von Meetings, dann Sie." Da könnte ich jetzt sagen "Verdammt noch mal, also wir wollen hier doch alle... Wir sind hier doch alle im Interesse der Firma und jeder von uns bringt sich ein. Und was soll diese Scheiße jetzt?", könnte ich sagen. Damit komme ich nur auf das Level von Austausch persönlicher Befindlichkeiten in einer Selbsterfahrungsgruppe. Meine Autorität ist damit dann im Eimer für den Rest des Meetings. Oder ich knüpfe mental meinen Rollenmantel zu, guck den an und sage ihm, "Ich bin die Moderatorin dieses Meetings. Sie sind ein Teilnehmer des Meetings. Wenn Sie was sagen möchten, melden Sie sich zu Wort. Dann nehm ich Sie dran." Ist was ganz anderes, als wenn ich sagen würde, "Tut mir jetzt, äh... Das trifft mich jetzt in der Seele."

00:37:51: Und auch, ich glaube, genau dieses Nicht-inhaltliche-Draufeingehen", das ist ja, das fällt ja glaube ich, jemandem, der High Talk unterwegs ist, extrem schwer. Also wir haben ja immer diesen Impuls zu sagen, da muss ich jetzt doch, also ich muss ja eine Antwort geben, sonst ist es ja irgendwie kein Gespräch. Also das habe ich für mich so beim Hören Ihres Buchs gedacht. Es ist eigentlich völlig entkoppelt davon, weil ich mich auf einer anderen Ebene bewege, reicht es mitunter...

00:38:20: Ich gebe eine Antwort. Es ist nur keine inhaltliche Antwort. Also für vertikale Leute, wenn die in ein Meeting reingehen, dann gehen die davon aus, es gibt hier zwei Ebenen der Kommunikation. Horizontale vergessen manchmal, dass es da auch noch eine zweite Ebene gibt. Horizontale gehen in ein Meeting rein, total im Inhaltsmodus, in der Regel auch super vorbereitet und ab der ersten Sekunde schon auf das Thema konzentriert. Das heißt, Sie gehen davon aus, die einzige Ebene dieses Meetings ist die inhaltliche Ebene. Vertikale gehen rein in so ein Meeting und wissen, für uns gibt es hier zwei Ebenen. Die eine ist die inhaltliche, die andere ist die politische. Klassisches Beispiel. Es gibt zwei Fraktionen im Meeting. Da ist ein Abteilungsleiter A und ein Abteilungsleiter B. Abteilungsleiter A schlägt was vor. Abteilungsleiter B vernichtet ihm den Vorschlag. Dann schlägt Abteilungsleiter B was vor. Das wird von Abteilungsleiter A vernichtet. So, jetzt ist das Meeting vorbei, die Horizontalen gehen raus und denken sich, was war denn das für eine Scheiße? Also völlig idiotische Zeitverschwendung. Vollkommen absurdes Meeting. Ergebnis Null. Hätten wir uns sparen können. Ärgerlich. Ärgerlich. Ärgerlich. Die Vertikalen gehen raus und denken okay, also inhaltlich ist nichts rausgekommen. Aber ist doch interessant. Wir hatten nicht gedacht, dass A genauso stark ist wie B. Wir hatten eigentlich gedacht, dass B eine viel größere Hausmacht hat als A und sich da durchsetzen wird. Aber das ist nicht der Fall. Ist tatsächlich Gleichrangigkeit. Das heißt, für die Vertikalen ist es eine ganz wichtige politische Information über die Machtverteilung innerhalb der Firma, die sich da gezeigt hat, dass da zufällig inhaltlich nichts dabei rauskam. Okay, so what?

00:40:17: Also auch eine Pattsituation kann oder das Feststellen einer Pattsituation kann für vertikal orientierte Vertreter auch irgendwie ein Zugewinn an Information sein. Und damit in dem Fall war doch ein produktives Meeting.

00:40:31: Ja, also ich mein, wer fühlt sich denn in Meetings auch mit Kunden, mit Mitarbeitern, wer fühlt sich dafür zuständig, dass die Kommunikation weitergeht, dass da irgendwas rauskommt? Ja, in der Regel die Horizontalen wegen ihrer starken Inhaltsorientierung. Hat ja auch eine wirklich produktive Seite. Nur wenn ich auf der anderen Seite auf jemanden treffe, für den ist aber jetzt von existenzieller Bedeutung, dass er klar macht, ob es hier Gleichrangigkeit, Überordnung oder Unterordnung gibt, dann wird wahrscheinlich die horizontale Seite zu jedem Kompromiss bereit sein. Hauptsache, es kommt halt auch nur ein bisschen was raus. Auch wenn man es dann hinterher bedauert. Aber die vertikale Seite wird viel leichter bereit sein, viel eher bereit sein, ein Patt zu riskieren. Also, ich mache einen Vorschlag. Dann sagt die andere Seite, "Geht nicht." Dann sag ich, "Aber wir haben das hier durchgerechnet, das bringt uns tatsächlich was." - "Geht nicht." - "Aber ich habe Ihnen doch die Analysen auf den Tisch gelegt. Sehen Sie doch. Zwei Jahre Investition, aber dann ganz dicke schwarze Zahlen. Fantastisches Projekt." - "Geht nicht."

00:41:57: "Wird nicht funktionieren. Haben wir schon gemacht."

00:42:00: Okay. So, das kann ich jetzt weiterlaufen lassen. Oder ich steige in ein Patt ein. Der sagt, "Geht nicht." Ich sage, "Geht doch." "Geht nicht." - "Geht doch." - "Nein, geht nicht." - "Geht." - "Nein." - "Doch." - "Nein." - "Doch." Das ist dann der Punkt, wo Horizontale sich denken, was ist das hier für ein Kindergartenquatsch? Ich steige aus und mache irgendeinen Kompromissvorschlag.

00:42:34: (lacht) "Lass bitte weiter inhaltlich gehen."

00:42:36: Ja, ja. Während der Vertikale kein Entgegenkommen macht. Und im schlimmsten Fall endet das Meeting mit Abbruch des Meetings und in einer Pattsituation. Was Horizontale als Katastrophe empfinden. Vertikale aber nicht. Weil es heißt für die dann hinterher, "Oh, hast du gemerkt, die hat Haare auf den Zähnen. Die gibt nicht einfach nach. Hätte ich nicht gedacht."

00:43:03: Das Schlimme ist ja, wenn man als High Talker auf diesem Basic Talk mit High Talk reagiert, das sagten wir ja eben schon. Man redet sich ein bisschen um Kopf und Kragen und kommt so ein bisschen rüber wie der Oberstreber, der seine Hausaufgaben wirklich gut gemacht hat.

00:43:17: Es ist tragisch. (lacht)

00:43:18: Ja, und dann... Das ist ja dann... Man geht ja mit auf die Bühne in dem Moment. Und man wird eigentlich... Die anderen gucken zu. Aber man wird immer kleiner, kleiner und kleiner, kleiner, kleiner, weil ja nichts nach vorne geht. Und jetzt haben wir ja so... Also offensichtlich sind ja Meetings oder überhaupt Moderationsituationen, das ist ja ein elementarer Anwendungsfall dafür. Wenn ich jetzt in einer solchen Rolle bin, zu sagen, ich bin vielleicht in der Projektverantwortung oder mir hat jemand delegiert, "Mach Du das mal, leite Du das mal." Wie bereite ich mich am besten auf so eine Situation vor?

00:43:59: Na, das Allerwichtigste wäre zum Beispiel schon mal, dass wenn ich das moderiere, dass ich dann auch einlade. Also ich sollte das nicht irgendjemand anderen machen lassen. Das sollte ich machen. Und es sollte auch vorher schon klar sein, was sind die Regeln in diesem Meeting? Muss für alle transparent sein. Es gibt Firmen, in denen ist es völlig ausgeschlossen, dass man sein Handy mitnimmt ins Meeting. Es gibt andere Firmen, da nimmt jeder sein Handy mit ins Meeting. Das ist nicht grundsätzlich ein Fehler, sondern der Fehler wäre, wenn das nicht für alle klar ist, was hier geht und was nicht geht. Das heißt, ich sollte die Einladung mitsamt der Regeln bekannt geben. Es muss auch klar sein, wie lange das Meeting geht, also diese mythologischen Open-end Sitzungen, wo angeblich nach fünf Stunden Sitzungsdauer immer noch was Produktives rauskommt, ist ja absurd. Es muss also klar sein, wie lang es geht. Übrigens, es sind natürlich auch Sitzungsdauern möglich, die Zoom einem nicht vorgibt.

00:45:15: Also, zumindest wenn man Premium ist.

00:45:19: Bitte?

00:45:20: Zumindest wenn man Premium ist. Sonst ist nach 40 Minuten Schluss. (lacht)

00:45:23: Ja, ja gut, aber Zoom gibt, wenn Sie ein Meeting einstellen, dann bieten die Ihnen ja immer nur halbe Stunden Muster an.

00:45:32: Ach so, ja.

00:45:32: Gut, aber warum nicht mal ein Meeting in 20 Minuten machen, oder? Oder eine 3/4 Stunde, oder so. Nur weil Zoom, muss mich doch nicht so unterwerfen wegen der Meetingdauer. Das Entscheidende scheint mir aber zu sein, gerade bei so wechselnden Projektverantwortlichen. Ich muss mit meinem direkten Vorgesetzten, vor allem, wenn der dann auch noch Teilnehmer ist in dem Meeting, ich muss mit ihm vorher geklärt haben, was das bedeutet, wenn ich moderiere. Weil das ist manchen Chefinnen und Chefs nicht nicht klar. Ich muss denen dann zum Beispiel sagen, "Hör zu. Also, wenn ich es moderiere, dann heißt es, ich behandle dich wie jeden anderen. Du hast dann da keine Sonderrechte. Du bist normalerweise mein Chef, aber im Meeting nicht."

00:46:16: Je nach Situation, Kundenworkshop, also wenn das ein entsprechender Workshop ist, der ein bisschen Einleitung braucht, dann bitte ich auch immer die Führungsrolle, die höchstranghöchste Führungsrolle in diesem Setup, auch wenn der gar nicht selber teilnimmt, zum Anfang kurz zu kommen und mir sozusagen die Inthronisierung also auch als Externen mir sozusagen das Zepter in die Hand zu drücken und auch allen Teilnehmern dann so zu erklären, "Wir haben den Andreas hierhergeholt, damit der da da da da..." Und dann gehen die auch teilweise, aber in dem Moment bin ich sozusagen inthronisiert.

00:46:55: Ja, das ist toll, Herr Diehl. Das ist genau das, was man machen muss. Also, ich erinnere mich, ich habe mal vor einer großen Gruppe von fast nur männlichen Führungskräften in einem Industriebetrieb einen Vortrag gemacht und es war klar, es wird was Interaktives. Also, das war für die ein bisschen ungewohnt. Und dann fängt es an um zehn, aber in der ersten Reihe, da ist noch ein Platz frei. Und dann fünf nach zehn geht die Tür auf, kommt ein Typ rein mit einer dicken, dicken Aktenmappe. Er setzt sich geräuschvoll in der ersten Reihe hin, fängt an, seine Akten auszupacken und da vor sich hinzuarbeiten. Klammer auf. Ein wunderbarer Move, Doc. Klammer zu. Dann bin ich gleich zu dem hin, langsam zu ihm hin und hab gesagt, "Was wird denn das?". Dann hat er gesagt, "Ja, ich muss hier noch ein paar Akten durcharbeiten." Dann hab ich gesagt, "Ich bin der Moderator in dem Meeting." Da hat er schon angefangen, sein Zeug zusammenzupacken.

00:48:06: Aber auch wirklich gesagt "Was wird denn das"? Das ist ja schon, das könnten wir schon sagen, es ist ein bisschen frech, läppisch, ne?

00:48:16: Deswegen gehe ich, wenn ich Vorträge mache in Firmen, bitte ich die Abteilung, die mich einlädt, mir niemanden vorzustellen. Ja? Damit ich völlig hemmungslos mit den Leuten, die da rumsitzen... Ich will nicht wissen, ob das jetzt hier der Vorstand ist oder so, das können Sie mir hinterher sagen. Aber ich will die alle gleich behandeln können. Und dann kann man sich so Sachen leisten.

00:48:42: Ich nenne das immer die Unabhängigkeit vom Auftrag, die mich dann auch im Nachhinein schon den einen oder anderen gekostet hat. (lacht)

00:48:47: Ja klar. Also, no risk, no fun, Herr Diehl. (lacht)

00:48:52: Okay, jetzt sind wir also im Meeting. Jetzt haben wir kurz über die Vorbereitung gesprochen. Ich verteile also die Einladungen. Ich stelle die Regeln klar. Ich lege die Dauer des Meetings fest. Und jetzt sind wir ja eigentlich schon drin. Also, dass ich noch mal einsteige, dass noch mal direkt zu Beginn die Sinnstiftung erfolgt. bzw auch die Inthronisierung. Da sollte jemand dabei sein, der möglicherweise auch mein direkter Vorgesetzter ist, dass der nochmal explizit sagt, "Ja, der Peter / der Andreas, das ist heute unsere Meeting Moderationsleitung." Und dass ich mich dann aber auch entsprechend in Führung begebe. Also das funktioniert ja nicht, wenn ich nicht so ein bisschen dieses Selbstverständnis habe und sage, "Ja, ich bin jetzt hier in Führung. Wenn mein Selbstverständnis ist, ich bin jetzt hier der Protokollant für euch."

00:49:38: Das ist ja grauenvoll.

00:49:39: Ja.

00:49:40: Ja, ja, ich meine, ich muss mir, ich sollte mir vorher schon noch mal vielleicht so für mich selber mal klar machen, was die Rolle vom Moderator ist. Der Moderator ist der, der den Code of Conduct vertritt. Der eine sinnvolle Auseinandersetzung überhaupt erst ermöglicht. Er stellt einen Schutzraum zur Verfügung und er soll anregen. Er muss ja übrigens inhaltlich überhaupt nicht groß Bescheid wissen. Es muss auch klar sein, was soll denn da am Schluss rauskommen? Soll es da irgendeine Form von greifbarem Ergebnis geben? Oder ist es einfach nur im Sinne von einem Brainstorming, oder was? Was ist denn da jetzt der Auftrag? Sollte mir schon klar sein. Aber ansonsten hab ich eine defensive wie auch eine offensive Funktion. Die defensive Funktion ist, ich muss die Medienkultur verteidigen gegenüber Störern. Alle, die dazwischen quatschen oder die Leute totreden oder unqualifiziert rumreden oder anfangen, rassistisch zu reden oder sexistisch, das muss ich sofort unterbinden. Und die offensive Funktion, die ich als Moderatorin oder Moderator habe, es sitzen ja sehr wahrscheinlich Leute in dem Meeting, die fachlich kompetent sind, aber nicht so gern sich in so einem Meeting outen.

00:51:09: Nicht so gerne da öffentlich rumreden. Und denen muss ich so viel Schutz und so viel Mut geben, dass sie ins Meeting reinkommen mit ihrer Kompetenz. Und wenn sie das von sich aus nicht machen, dann muss ich halt so eine freundliche Verführungsaktion starten. Also, "Susanne, du hast jetzt die ganze Zeit nichts zu dem Thema gesagt, ich weiß aber, das ist ja Teil des Forschungsprojekts, bei dem du arbeitest und das Thema, damit habt ihr doch auch zu tun. Kannst du uns mal sagen, wie du das siehst?" So, dann sagt Susanne vielleicht einen Satz. Dann sage ich, "Danke, dass du das sagst. Könntest du noch ein bisschen genauer sein? Was heißt das jetzt für den Aspekt oder jenen Aspekt?" Okay, und dann fängt Susanne vielleicht überhaupt erst an, ihr ganzes Know-How auszupacken. Das heißt, diese beiden Funktionen habe ich nun mal. Also, ich bin verantwortlich dafür, dass der Rahmen produktiv werden kann. Und ich muss den Rahmen also verteidigen. Und ich muss Leute einladen, in diesen Rahmen reinzukommen. Ich finde das einen anspruchsvollen Job, eine gute Moderation zu machen. Das ist wirklich was wert.

00:52:26: Wenn man auf die meisten Unternehmen guckt. Also, wie werden dort Meetings abgehalten, wie nehmen Leute Meetings wahr? Dann taucht ja oft so, der Number One Zeit-Killer und unproduktiv bis zum geht nicht mehr ist die Art, wie wir eigentlich Meetings abhalten. Was vielleicht auch daran liegt, dass eine solche Moderationsrolle, wie Sie sie gerade beschreiben, so überhaupt nicht gelebt und wahrgenommen wird. Es wird ja nicht der Mehrwert einer solchen Person, die in dem Moment in Führung ist, damit überhaupt einen Rahmen sich findet, in dem guter High Talk am Ende stattfinden kann, dazu gehört es auch, die Rangorientierten da rein zu führen und zu sagen, ja gut wir klären den Rang und das Revier für dich. Und ich kann dir sagen, hier bin ich heute die Nummer eins. Ich habe es immer ein bisschen leichter. Ich bin 2 Meter groß, hab eine dunkle Stimme. Da sagte mal einer, "Da wird es sowieso immer dunkel, wenn du zur Tür reinkommst." (lacht)

00:53:19: Na ja, Herr Diehl. Ich bin mir ganz sicher, wenn wir uns überlegen würden. Was ist denn der Faktor, der in Firmen ganz drastisch die Produktivität verbessern würde? Ist das die Einführung von SAP oder was ist es? Oder irgendeine neue, wahnsinnig tolle... oder eine AI? Oder was ist es? Ich bin mir ganz sicher, dass der Faktor, der das am schnellsten hinkriegen würde und der eigentlich gar nicht so teuer sein müsste. Das ist die firmeninterne Schulung von Moderatorinnen und Moderatoren. Weil es läuft nun mal in den Meetings... In den Meetings wird nun mal wahnsinnig viel Energie umgesetzt und es wird leider auch wahnsinnig viel menschliche und fachliche Energie vernichtet in schlechten Meetings.

00:54:06: Und das ja erst recht in der Zeit, wo du, sag ich mal, Arbeit vielleicht nicht mehr so gut abteilen kannst. Auch wenn wir das immer noch gerne im Organigramm so umsetzen - Abteilungen - sondern wo du viel mehr, also Stichwort Digitalisierung oder auch mal an neuen Produkten arbeiten, das erfordert ja Vernetzung, Co-Kreativität. Also das dort wäre meine Annahme, dass sogar die Anzahl der Meetings oder auch solcher, wo es eben nicht nur rein um Informationsaustausch geht, sondern darum, auch gemeinsam was zu erarbeiten, das nimmt ja eher noch deutlich zu.

00:54:44: Natürlich. Also die Moderatorinnen und Moderatoren in Meetings von Firmen, das sind eigentlich Leute, die Wissensorganisation machen.

00:54:52: Ja.

00:54:53: Und insofern sind sie ein ganz zentraler Punkt für betriebswirtschaftliche Produktivität.

00:55:00: Sehr schön. Jetzt vielleicht noch eine Abschlussfrage. Wenn ich für mich persönlich ein bisschen mehr Flexibilität reinkriegen will, in wie verhalte ich mich denn eigentlich? Wie kann ich gut switchen? Haben Sie da noch abschließend noch ein paar praktische Übungstipps?

00:55:17: Also zunächst mal sollte ich mir darüber im Klaren sein, dass es wirklich um Übungen geht. Also, wir haben hier eigentlich mit einem Fremdsprachenproblem zu tun. Also, wenn Sie was von mir wollen und ich finde Deutsch toll. Total überzeugt von Deutsch, ja? Also, Schiller! Hallo? Goethe, Hölderlin, Kant! Fantastisch. So, und jetzt texte ich Sie auf Deutsch zu. Sie sind allerdings kein Deutscher, und Sie verstehen auch kein Deutsch. Sie sprechen Französisch. Sie ihrerseits sind total überzeugt von Französisch. Also, fantastisch. Racine! Ha! Großartig, ja! Diderot! Toll. Also, Camus. Hallo? Wahnsinn! Und jetzt texten Sie mich auf Französisch zu. So? Ja. Wo ist denn da jetzt die Schnittmenge, wo wir uns begegnen können? Ja, die gibt es nicht. Das heißt, wenn Sie von mir was wollen und ich beharre auf meinem Deutsch, dann werden Sie nicht drumherum kommen. Sie müssen das nicht mal perfekt können, aber so ein bisschen Grammatik, ein bisschen ein paar Grundbegriffe von diesem Deutsch werden Sie einspeisen müssen. Sonst kriegen Sie einfach überhaupt gar nichts von dem, was Sie wollen. Oder umgekehrt. Ich will von Ihnen was. Und da sollte ich aufhören, sobald ich kapiere, dass Sie Französisch reden und nicht Deutsch. Da sollte ich aufhören, Französisch runter zu machen. So nach dem Motto, die machen da immer so komische Wörter, so "en, en, en". Das ist doch krank.

00:56:41: Wie bescheuert. Das ist doch unmoralisch. Das ist doch böse. Nein. Ich werde auch nicht drum rumkommen, dass ich ein paar Ausspracheregeln, ein paar zentrale Begriffe, ein bisschen Grammatik und dann werde ich weiterkommen. Das Schöne an diesem vertikalen System, über das wir hier so hauptsächlich geredet haben, ist allerdings, es ist total fehlerfreundlich. Weil die denken nicht über ihre eigenen Kommunikationsstrukturen nach. Das heißt, wenn Sie jetzt also nach unserm Gespräch im nächsten Meeting, das Sie machen, Sie fangen an mit einer Rangklärung, aber sie verbaselns. Sie vergessen... Sie erkennen allen den Rang an, nur ihren sagen Sie nicht. Irgendeinen Fehler machen Sie. Dann wird Ihnen das nicht vorgeworfen. Da kommt hinterher niemand und sagt, "Ja, ja. Hab ich schon gesehen, Herr Diehl, ja? Ich hab gesehen, was sie machen wollten. Sie wollten das hier und dann wollten Sie die Rangklärung. Hat aber nicht funktioniert. Da haben Sie das vergessen..." Nein, das macht niemand. Weil das würde ja voraussetzen, dass man seine eigene Sprachsystematik reflektieren würde. Das machen die aber nicht. Das heißt, Sie können nächste Woche einfach das ganze Ding nochmal machen. Und übernächste Woche auch wieder, nach drei Tagen wieder. Das meine ich mit fehlerfreundlich. Da wirft Ihnen niemand was vor. Sie können immer wieder neu anfangen.

00:58:07: Oder es kriegt ständige Erinnerung auch in dem Meeting um die Ohren gehauen. Also wenn jemand mit Move und Basic Talk dann vielleicht reagiert während einem Meeting, obwohl ich denke, naja, den Rang haben wir doch schon geklärt. Dann ist es ja einfach Erinnerungshilfe daran, ah, okay, es war anscheinend noch nicht deutlich genug. Ich gehe nochmal zurück.

00:58:27: Ja, genau. (lacht)

00:58:29: Sie sind Teilnehmer.

00:58:31: Ja.

00:58:33: Ich bin Moderator des Meetings.

00:58:35: Und ich meine, das können die Leute, die uns zuhören, ja nicht sehen. Und Sie machen das ja mit Pokerface. Also, Sie sind in der Lage, Ihr Lächeln auszuknipsen. Und das macht mir Hoffnung, Herr Diehl. Weil das Problem ist für viele Horizontale - nicht für viele, aber für einen gewissen Prozentsatz - es gibt bei den horizontalen Leuten, die haben ein Lächeln-Reflex. Sie haben ein echtes Problem, das Lächeln mal auszuschalten, wenn dafür kein Anlass ist. Und ein Lächeln-Reflex in einem Konflikt, wo ich ein vertikales Gegenüber habe und der pinkelt mir gerade ans Bein und ich lächle die ganze Zeit, weil ich Zeichen der Zugehörigkeit geben will, da wird es noch schlimmer. Das heißt, wenn ich dann sowas mache wie so eine Rangklärung, dann am allerbesten mit einem ganz neutralen Gesichtsausdruck.

00:59:28: Ich muss sagen, als Sie eben - auch das konnte man ja nicht sehen - aber als Sie ihren Basic Talk mit mir gemacht haben, mich angeguckt haben, ich hatte so spontan, wenn ich nicht schon gesessen hätte, hatte ich spontan das Bedürfnis, okay, setz dich. Sag nichts mehr. Und das muss ja gar nicht... Man muss ja auch gar keine Grimassen schneiden, man muss einfach nur völlig neutral, klaren Blick, aber ich glaube vor allem auch den Blickkontakt suchen und dann halten. Und dann ganz langsam, "Sie sind der Teilnehmer. Ich bin der Moderator dieses Podcasts. Vielen Dank."

01:00:07: Ja, Herr Diehl.

01:00:10: Es würde mal ein kurzes Schleifchen dran machen. Nicht, dass wir uns mit so einem unfreundlichen Basic Talk verabschieden. Ich bin ja High Talker.

01:00:15: Ich wollte sagen, Herr Diehl, es war mir ein Vergnügen.

01:00:21: Vielen Dank. Aber kurz noch ein Schleifchen, damit wir... Ich würde einfach noch mal kurz durchgehen. Was haben wir gemacht? Also. Erste ganz wichtige Aussage. Wir bewegen uns grundlegend in zwei völlig unterschiedlichen Kommunikations- oder Sprachsystemen. Das eine eher vertikal orientiert, wo es primär darum geht, Rang und Revier zu klären. Das andere horizontal orientiert. Also Dialog auf Augenhöhe, wo es vor allem um Zugehörigkeit, um Inhalte geht. Und die grundlegende Aussage dahinter, wenn ich jemanden erreichen möchte oder auch an einem Gespräch mit ihm Interesse habe, dann muss ich mich immer auch im gleichen Kommunikationssystem bewegen. Sonst kann Kommunikation nicht funktionieren. Was machen die Vertikal-Orientierten? Die eskalieren dann auf Basic Talk. Das heißt knappe, einfache Sätze. Lange Pausen. Viele Wiederholungen. Ohne, dass sie sich dafür zu schade sind, dass möglicherweise auch ein gewisser Punkt inhaltlich gar nichts mit dem Vorangegangenen zu tun hat. Das heißt, das können simple, banale Feststellungen sein, an die wir High Talker uns vielleicht gewöhnen müssen. Dann die weitere Eskalationsstufe Move Talk. Da habe ich immer sofort vor meinem Auge entweder einen Hund, der seine Ecken markieren will und / oder so einen Silberrücken, der sich extrem langsam durch den Raum bewegt, setzt und was auch immer die Situation ist, diese Meetingsituation zum Beispiel für ihn einfach nur eine große Bühne ist, auf der er sich bewegt und ein Stück weit auch inszeniert. Und eben High Talk dann die Kommunikationsstrategie vor allem der Horizontal-Orientierten, wo es um fachliche Argumente geht. Dritter wesentlicher Punkt gerade für High Talker ist dieser Basic und Move Talks sehr, sehr schwer. Es würde aber, glaube ich, das nehme ich jetzt vor allem mit. Was kann man dagegen tun? Na ja, ich kann erst mal damit starten, es überhaupt anzuerkennen, dass dort ein anderes Bedürfnis ist oder jemand sich in einem komplett anderen System bewegt.

01:02:29: Dann zweiter sehr guter Schritt wäre, dass ich sensibel oder eine gewisse Sensibilität dafür entwickle, für diese Anzeichen, die mir dort [begegnen]. "Hallo, ich habe ein Bedürfnis. Ich möchte bitte meinen Rang klären, bevor wir überhaupt inhaltlich weitermachen können." Genau, und dann einfach Schritt drei üben und praktizieren. Das ist mit Sicherheit der schwierigste Teil. Aber wenn ich es erst mal erkannt habe, ist es vielleicht auch viel einfacher. Und wenn ich dann mal den akademischen Kopf ausschalten kann, diesen Impuls unterdrücke, A, immer zu lächeln, B, immer unglaublich kluge Dinge zu sagen, dann wird es, glaube ich, immer einfacher. Und ein riesen Anwendungsfall - das ist, glaube ich, noch mal ein wichtiges Take Away - sind einfach in unternehmerischen Kontexten, Meetings, die deutlich produktiver sein könnten, wenn wir der Rolle der Moderation mehr Bedeutung in dem Kontext einfach als eine Führungsrolle beimessen. Was kann ich tun, wenn ich in einer solchen Rolle bin? Ich kann mich gewissenhaft vorbereiten, geht darum, dass ich Einladungen verschicke, Regeln definiere für ein Meeting, dass ich die Dauer definiere. Innerhalb des Meetings, dass dort dann auch jedem klar ist, ich bin hier im Lead, ich bin für ein produktives Meeting verantwortlich, ich gehe hier auch in Führung, Ziele klar habe dann aber ein bisschen eine Defence und Offence vertrete. Also, Defence Line eher im Sinne von "Ich verteidige hier wie eine Löwenmama, dass wir hier einen produktiven guten Austausch haben" und offensiv heißt, dass ich auch auf Leute zugehe, die vielleicht nicht immer in erster Reihe sitzen und direkt die Hand heben und zu allem ihren Senf beitragen, die aber fachlich durchaus etwas zu sagen haben, und so dazu beitragen kann, dass so ein Meeting auf vernünftige Art und Weise abläuft. Hab ich irgendwas vergessen, Herr Modler?

01:04:20: Also wir können hier noch ohne Weiteres drei, vier weitere Stunden reden, aber für das was wir hier vorhatten...

01:04:24: Ja, das machen wir vielleicht bei Gelegenheit.

01:04:29: Vielleicht machen wir nur mal einen zu Meetings. Glaube, das ist noch mal ein echt interessanter und sehr, sehr relevanter Punkt. Das holen wir dann aber an anderer Stelle nach. Okay, bis hierhin erstmal vielen, vielen Dank. Ich werde den Move und den Basic Talk jetzt auch mal mit meinen Kindern üben. Mal gucken, ob er wirkt. (lacht) Wenn Sie dann erboste Anrufe von meiner Frau kriegen, dann sage ich "Ja, Herr Modler ist dran schuld."

01:04:56: Ich kann nur hoffen, dass ihre Kinder nicht anfangen, mich zu hassen, Herr Diehl.

01:05:00: Ich werde ihnen nicht verraten, dass ich es von ihnen hab. Ich schiebe es auf die Deborah Tannen. Da gehört es ja eigentlich her.

01:05:05: Finde ich gut.

01:05:06: Vielen Dank, Herr Modler. Machen Sie es gut.

Kommentare (2)

Josefine

Zur rechten Zeit das richtige Thema. Ich finde diesen empathischen Zugang zu Situationen, in denen ich schon so oft gestolpert bin sehr hilfreich. Herzlichen Dank!

Ariane Ernst

Lieber Andreas, danke für diesen kurzweiligen und gleichzeitig informativen Podcast mit Herrn Modler. Selten hat mir ein Podcast so viel Spaß gemacht wie dieser. Ich klebte eine gute Stunde an euren imaginären Lippen und hätte gut & gerne noch länger zugehört. Ich freue mich auf die Fortsetzung!

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