#25 Führung, Kultur und psychische Erkrankungen - Fehlzeiten-Report 2023 mit Bernhard Badura

Shownotes

Bernhard Badura ist Emeritus an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports 2023 der AOK. Im Podcast sprechen wir über die rasante Zunahme psychischer Erkrankungen und was diese Entwicklung mit Führung und Unternehmenskultur zu tun haben.

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00:00:09: Und das ist die allergrößte Dummheit, die heute meines Erachtens eben immer noch verbreitet ist, von einem Menschenbild auszugehen, dass die Menschen nicht leisten wollen, sondern es ist so, dass Menschen möchten leisten, aber sie möchten wissen, wofür sie leisten.

00:00:22: Bernhard Badura ist Emeritus an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports 2023 der AOK. Im Podcast sprechen wir über die rasante Zunahme psychischer Erkrankungen und was diese Entwicklung mit Führung und Unternehmenskultur zu tun haben. Herr Badura, herzlich willkommen! Was sind denn Ihrer Einschätzung nach so die wichtigsten Erkenntnisse aus dem aktuellen Fehlzeiten-Report?

00:00:48: Ja, das ist ja ein sehr umfangreiches Werk, das zunächst mal stichwortartig am Beginn eingeht auf diese berühmte Zeitenwenden-Rede von Herrn Bundeskanzler Scholz. Ja, das ist aber eigentlich nur die Anknüpfung an etwas, was sich strukturell ja schon sehr viel früher abgezeichnet hat. Nämlich, ich sage mal einfach ein paar Stichworte, dass die Digitalisierung, die uns natürlich weiter beschleunigt, begleiten wird. Dann kam die Sache mit Corona. Ein tiefer Einschnitt in unserer Gesellschaft, aber auch vor allen Dingen in unserer Arbeitswelt, weil er gezeigt hat, dass offensichtlich Arbeiten in der bisher gemachten Form durchaus geändert werden kann, ohne dass Unternehmen Schaden dabei nehmen. Und dann kam natürlich auch noch die Ungarngeschichte, aber die ist für uns erstmal weniger wichtig. Was in Deutschland relevant ist, ist im Moment über alles überragend der Fachkräftemangel einerseits und andererseits, dass wir in den Statistiken feststellen und das ist schon ein Punkt, über den man sich reiflich Gedanken machen muss, dass wir auf der einen Seite beklagen, dass wir zu wenig Fachkräfte haben aufgrund des demografischen Wandels, auf der anderen Seite aber immer mehr Leute zu Hause bleiben, weil sie sich insbesondere wegen psychischer Probleme nicht arbeitsfähig empfinden. Und das heißt im Grunde genommen zu Ende gedacht, dass die Unternehmen einen Teil des beklagten Fachkräftemangels tatsächlich ihren eigenen Aktivitäten zu verdanken haben in Anführungszeichen.

00:02:49: Das heißt also, wenn wir, auch mit dem Blick auf das Thema Rentenziel bis 68... Die Wirtschaftsweisen haben ja gerade ihr neues Gutachten vorgelegt, in dem sie diesen Vorschlag machen, um den Fachkräftemangel zu bewältigen, aber vor allem auch um die Rentenfinanzierung zu bewältigen, schlagen sie vor, man soll bis 68 arbeiten. Wenn wir uns aber mal anschauen, wie lange heute die Leute arbeiten können und wollen, dann landen wir beim Alter von 62. Also von 62 bis 68 ist ein großer Schritt und der wiederum auch darauf verweist, dass wir eine Stärkung der Prävention und das ist eigentlich meine Botschaft auch immer die Botschaft gewesen der ganzen Fehlzeiten-Reports seit 20 Jahren. Dass also im Grunde genommen wir in einer Gesellschaft leben, die viel Geld ausgibt, sehr viel Geld ausgibt für die Versorgung von Kranken. Aber wirklich vergleichsweise eine minimale Menge davon in die Prävention fließt. Das ist, denke ich mir, ein Grundfehler, an dem wir arbeiten müssen. Denn mit diesem Hebel, mit mehr Prävention, können wir, wenn wir geschickt vorgehen, sowohl den Fachkräftemangel beheben, ein Stück weit, wie auch eben es erreichen, dass die Menschen tatsächlich länger arbeiten können und wollen.

00:04:17: Und wollen, ja. Bevor wir vielleicht da mal auf ein paar präventive Maßnahmen eingehen, da der ein oder andere Hörer die Zahlen nicht so vor Augen hat. Der durchschnittliche Krankenstand hat sich ja deutlich erhöht auf knapp 7 %. Also die Lesart ist, dass wir eigentlich im Schnitt von 100 Arbeitstagen sieben Krankentage haben. Ist das die Lesart dafür?

00:04:41: Ja, so ist es.

00:04:42: Genau. Und das führt dazu, dass im Schnitt Beschäftige knapp 25 Kalendertage pro Jahr krank sind. Und in Summe 2/3 aller Arbeitnehmer mindestens einmal im Jahr arbeitsunfähig gemeldet sind, so das sind mal so die Metadaten. Wenn man dann runtergeht...

00:05:01: Das hängt allerdings auch dann von der Krankenkassenart ab. Also, ich habe die Zahlen von der AOK so in Erinnerung, dass etwas weniger als die Hälfte pro Jahr erkranken. Ja, aber wie auch immer, es ist einfach... Wir müssen einfach sehen, dass diese steigenden Zahlen und die Zahlen steigen ja nicht erst seit der Pandemie, sondern sie steigen seitdem wir das beobachten. Das ist ganz klar ein Hinweis darauf, dass irgendwas da nicht stimmt an der Stelle und wir dem nachgehen müssen.

00:05:34: Ja, und wenn man mal in die Verteilung reingeht, ich glaube, da gibt es ja Atemwegserkrankungen, das ist ja auf der ersten Stelle. Aber 10 % aller Krankmeldungen bzw. aller Krankentage, die gehen auf psychische Erkrankungen zurück. Und das ist ja, wenn man die letzten zehn Jahre, ich habe mir hier notiert, 50 % Zunahme. Also, das ist ja mit Sicherheit die größte, die größte relative Steigerung und auch die Falldauer, also die Leute, die dann auch psychisch erkranken, die sind dann auch im Schnitt mit 30 Tagen außer Gefecht gesetzt.

00:06:07: Das muss man also gut unterscheiden. Also, es ist so, dass die Anzahl der Fälle steigt, aber die steigt vergleichsweise moderat. Das ist auch schon ein Punkt. Aber im Vergleich zu den anderen chronischen Krankheiten, die ja weitgehend stabil bleiben, abgesehen von dem Schnupfen, das ist nach oben geschossen, aber das ist wahrscheinlich ein einmaliger Fall. Der entscheidende Punkt ist die Dauer. Das heißt also, was uns besonders hier Schmerzen bereitet in Anführungszeichen, ist die große Dauer. Die Dauer, die dann eintritt, wenn man erkrankt. Also wenn Sie mal jemand nehmen mit Burnout oder schwere Fälle, das kann durchaus 1 bis 2 Jahre dauern, bis die wieder geheilt sind. Also, das sind natürlich doch Zahlen, die zu einem erheblichen Ausfall von Arbeitszeit beitragen, was wiederum natürlich dann auch mit den Fachkräftemangel bedingt. Wenn ich immer mehr Leute nach Hause schicke, weil sie krank sind und weil sie eben, wenn sie dann immer länger krank bleiben, dann sinkt die Verfügbarkeit der vorhandenen Erwerbstätigen. Und das ist dann auch ein Beitrag zum Fachkräftemangel.

00:07:22: Ja, wie hoch schätzen Sie denn oder sehen Sie es überhaupt als Effekt? Man könnte ja sagen, dass vielleicht vor 20 Jahren das Eingeständnis einer psychischen Erkrankung noch mal eine ganz andere Qualität hatte als heute. Dass es heute einfach ein Stück weit akzeptierter ist, über sowas zu sprechen. Glauben Sie, das ist ein Effekt? Oder würden Sie sagen, das kann man eigentlich vernachlässigen?

00:07:45: Naja, also es ist sicher auch ein Punkt, den man dabei berücksichtigen muss. Es ist so, dass wahrscheinlich bei beiden, sowohl bei Ärzten, in der allgemeinen, bei Allgemeinärzten wie auch bei den Menschen in unserer Gesellschaft, die Bereitschaft, sich da zu öffnen, die hat sicher zugenommen und die Ärzte sind sicher auch heute eher geneigt, diesem Thema überhaupt Aufmerksamkeit zu widmen. Man muss einfach wissen, dass die Psychiatrie und die psychischen Krankheiten insgesamt in unserer akademischen Welt, bei Medizinern einen sehr geringen Stellenwert einnehmen. Es dominieren die physischen Erkrankungen, warum auch immer. Das ist ein anderer Punkt, auf den wir vielleicht jetzt nicht kommen müssen. Aber es ist eben so, dass tatsächlich das eine Rolle spielt. Aber letztlich, sage ich mal, ist das ein Faktor, der vielleicht einen kleinen Teil des Anstiegs erklärt. Aber der Löwenanteil dürfte zurückzuführen sein auf die Änderungen in der Arbeitswelt, die eben zu einer starken Verdichtung der Arbeit geführt haben und die eben vor allen Dingen dazu geführt haben, dass wir zwar einen Arbeitsschutz haben, der aber sich im Wesentlichen auf physische Arbeitsunfälle und Krankheiten, Berufskrankheiten konzentriert. Also, der gesamte Bereich der psychischen Gesundheit ist unterschätzt. Und dazu kommt, dass eben dann in Verbindung damit unsere Fähigkeit, mit diesen Problemen vernünftig umzugehen, ihnen frühzeitig zu begegnen, wenn es geht, sogar zu vermeiden und den Blick dabei vor allem auf die Arbeitswelt zu richten, das ist unverzichtbar.

00:09:32: Also, es wird ja immer wieder auch versucht, dann zu sagen, nagut, das liegt ja auch am Privatleben. Aber ich darf daran erinnern, dass die WHO immerhin in ihrem Bericht von 2020/21 hat sie ganz klar festgestellt in der neuesten Ausgabe dieser klassische Krankheitsklassifikation, dass Burnout als eine ganz dominierende psychische Erkrankung arbeitsbedingt ist. Also, diese Fluchtmöglichkeit zu sagen, ja, das ist vielleicht die Ehefrau. Nagut, die mag sicher auch eine Rolle spielen dabei, aber, ich sage mal, insgesamt betrachtet ist der Anteil, der Löwenanteil, der hier eine Rolle spielt und der durchaus präventierbar wäre, das sind die Arbeitsbedingungen, zu steile Hierarchien, schlecht ausgebildete Führungskräfte, was ihre Führungsfähigkeiten betrifft und so weiter und so fort. Auch die mangelhafte Sinnhaftigkeit, die mangelhafte Transparenz, die zu wenige Beteiligung der Beschäftigten, das immer noch zu steile Hierarchiedenken nach Demand and Control. Also man glaubt immer noch, Menschen mit Angst zu führen. Das sind alles Teile unserer Arbeitswelt und nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit, die dazu beitragen, dass insbesondere die seelischen Probleme der Menschen zunehmen.

00:10:58: Jetzt haben wir ja gerade eine ganze Latte... Da reicht ja ein Podcast gar nicht für. Also, schlecht ausgebildete Führungskräfte. Digitalisierung haben Sie vorhin genannt, die Hierarchie also, was ja dann mitunter auch einhergeht mit keine Möglichkeit der Mitgestaltung. Also, man wird so ein bisschen vor vollendete Tatsachen gestellt. Fehlende Transparenz dann auch in diesen Entscheidungsprozessen. Ja, und auf einmal steht man da und das Ganze möglicherweise noch... Also, ich sehe in meiner Beratung ja viele Unternehmen, die auch unter anderem ausgelöst durch Digitalisierung, zunehmend unter Leistungs-, Kosten- und Innovationsdruck stehen. Also, auch gleichzeitig noch in Verbindung mit die Anforderungen werden auch mehr, ja. Und da ist es ja schon mal auch ein normaler Impuls, "da müssen wir noch mehr, ja noch schneller, noch mehr Pace vorgeben". Und ja, so schaukeln sich wahrscheinlich dann auch viele Phänomene auf. Das sind ja eine ganze Reihe von Gründen. Haben Sie aus den Studien auch explizit auch noch Daten gewonnen, wo man sagen kann, das ist eine mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit, zum Beispiel schlechte Ausbildung von Führungskräften, Hierarchien. Haben Sie da noch konkrete, wirklich konkrete Zahlen gewinnen können?

00:12:06: Ja, natürlich. Wir haben das, was wir in den letzten 20 Jahren gemacht haben, was wir auch immer wieder veröffentlicht haben, nicht nur, aber auch in den laufenden Fehlzeiten-Reports. Wir haben sehr viele Daten gewonnen aus über 100 Organisationen, weit über 100 inzwischen, wo wir sogenannte Organisationsdiagnosen durchgeführt haben, mithilfe einer standardisierten Mitarbeiterbefragung. Da können wir schon, gerade was das Stichwort Burnout betrifft und das ist ja auch international sehr gut erforscht mittlerweile, ganz klar sagen, dass es hier vor allen Dingen um psychische Erschöpfung geht. Also ein Erschöpfungszustand, der sowohl physisch als Ermüdung wahrgenommen wird wie auch psychisch, als eben dieses berühmte Ausgebranntsein, dass das zu großen Teilen zurückzuführen ist auf Probleme an der sogenannten Mensch-Mensch-Schnittstelle. Also Menschen tun Arbeit, werden dafür aber nicht anerkannt in ihren Leistungen. Menschen haben Probleme mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Das Team, der Teamgeist funktioniert nicht. Da sind wir schon bei unseren Studenten hier. Es gibt Studierende, die gerne Gruppenarbeit machen. Es gibt dann wieder andere, die sagen, nee, das machen sie nicht so gerne, weil da immer Leute dabei sind, die, für die man mitarbeiten muss. Also, hier ist die Frage auch, wie weit werden Menschen auch darauf vorbereitet, im Kollektiv Probleme zu bewältigen? Das geschieht zu wenig. Also, es ist eine ganze Reihe von Dingen.

00:13:43: Aber was im Wesentlichen bei allen Studien immer wieder rauskommt, das ist die Kultur und die Führung auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, eine schlechte Buchführung, sage ich jetzt mal. Möglicherweise machen wir Projekte, aber wir kümmern uns kaum um die Ergebnissicherung. Das heißt also, Kennzahlen brauchen wir. Wir brauchen, wenn wir intervenieren. Dazu gibt es ja inzwischen eine ganze Menge Möglichkeiten, was man da machen kann. Was aber zu wenig gemacht wird, dass im Ergebnis dann auch die Ergebnisse festgehalten werden. Vor allen Dingen auch mit Blick darauf, dass eben Gesundheit nicht nur etwas ist, was angenehm sich anfühlt und die Lebensqualität verbessert, sondern Gesundheit ist etwas, was auch die Arbeitsqualität verbessert. Also, dieser ökonomische Link, den wir immer wieder betonen bei den Unternehmen, dass wenn ihr in die Gesundheit der Beschäftigten investiert und wenn das bedarfsgerecht und wirksam ist, dann müsst ihr euch auch über die Ergebnisse um die Ergebnisse kümmern. Und wenn ihr der Meinung seid, das reicht nicht oder die Ziele werden nicht erreicht, dann muss man die Ziele eben verändern oder man muss die Maßnahmen verändern. Also, wir brauchen hier ein lernendes System. Und da orientieren wir uns an dem sogenannten Demingzyklus, Planning Doing usw. Es ist ja weithin bekannt. Das ist international. Heute gilt das als Goldstandard, wenn es um die Bewertung von Interventionen in Beratungsprozessen geht.

00:15:27: Oder generell, also wenn Unternehmen Investitionen planen und durchführen. Wir müssen uns daran orientieren und müssen entsprechend auch nicht nur immer auf Probleme verweisen, sondern wir müssen auch auf Möglichkeiten verweisen, wie man wirksame, von weniger wirksamen Interventionen unterscheiden kann und wie vor allen Dingen belegt werden kann, das was Sie versprechen, dass Investitionen in die Gesundheit der Beschäftigten sich auch für die Unternehmen rechnet. Zum Beispiel weniger Fehlzeiten, zum Beispiel mehr Engagement bei der Arbeit, zum Beispiel mehr Kreativität und mehr Eigeninitiative. Das sind alles Dinge, die letztlich abhängen von der Qualität der direkten Führungskraft. Also, das ist der Punkt, wo wir aus... Also, die Erkenntnisse, die kann man sagen, die bündeln sich quasi in diesem Punkt. Also, wenn man mich fragen würde, was wäre der wichtigste Hebel, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen und zu fördern, vor allen Dingen die psychische, die mentale Gesundheit, dann geht es darum, die Führungskräfte besser auszuwählen und weiterzubilden, was das Thema soziale Kompetenz betrifft und das Thema Gesundheit betrifft und das Thema Delegation betrifft. Führungskräfte delegieren zu wenig, Führungskräfte misstrauen ihren Beschäftigten. Beschäftigte haben Angst vor ihren Führungskräften. Das sind alles Dinge, die einerseits die seelische Gesundheit betreffen, zugleich aber auch die Qualität der Arbeit.

00:17:08: Glauben Sie denn auch, oder sehen Sie in den Daten, dass Tendenzen - ich hoffe, ich bereue diese Frage nicht, weil ich bin ein riesen Verfechter davon - aber sehen Sie in den Daten, dass eine zunehmende Homeoffice Regelung darauf auch Einfluss hat? Weil das entfremdet natürlich auch ein Stück weit. Also, wenn die Gründe auch für psychische Erkrankungen oder andersrum für das Wohlbefinden der Leute so viel an der Mensch-Mensch Verhäkelung... [wenn] dort so viel Gutes passieren kann, wäre das dann nicht auch ein Argument, dann zu sagen, dann müssen wir auch mehr Zeit miteinander verbringen, und zwar am besten persönlich?

00:17:48: Ja, es ist so... Also, das ist gut, dass Sie diese Frage stellen, weil wir genau darüber uns in den letzten Jahren schon besonders viele Gedanken gemacht haben. Also, wir verfechten ja hier die These vom Sozialkapital. Das heißt, ganz vereinfacht ausgedrückt, dass die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen sowohl horizontal wie vertikal entscheidend ist für die Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten. Ganz simpel ausgedrückt. Das ist einmal die Qualität der Führung, das ist die Qualität der Kultur, das ist die Qualität der zwischenmenschlichen Zusammenarbeit im Team und das ist die Transparenz, was die Ziele und Erwartungen des Unternehmens betrifft, also die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Menschen wollen heute einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Das ist ein ganz, also, für mich ein ganz zentraler Punkt, wo ich eben auch an Viktor Frankl anknüpfe, den berühmten österreichischen Psychiater, der leider in Deutschland zu wenig bekannt ist mit seiner These von der mangelhaften Sinnhaftigkeit der modernen Welt. Also, mit der Säkularisierung - mal etwas weiter ausgeholt, ja - leben wir in einer Welt, in der in gewisser Weise immaterielle Ziele eigentlich gewünscht sind. Die Menschen haben einen Hunger nach Sinn. Aber dieser Hunger nach Sinn wird in der Arbeitswelt von ihren direkten Vorgesetzten zu wenig bedient. Auch von den Unternehmen zu wenig bedient. Wenn wir also beispielsweise Beschäftigte fragen, "Kennen Sie eigentlich die Ziele Ihrer Organisation?" Selbst Beschäftigten im öffentlichen Dienst diese Fragen stellen.

00:19:38: Dann wird zu großen Teilen gesagt, "Nein, wir kennen die Ziele nicht." Und stellen Sie sich vor, Sie arbeiten Ihr Leben lang für irgendeine Behörde oder für ganz egal wo immer und Sie wissen eigentlich gar nicht, warum mache ich das hier? Und diese Frage wird immer häufiger und immer heftiger gestellt. Und der Anspruch ist da seitens der Beschäftigten, dass die Führung ihrer Organisation namentlich dann durch das Verhalten ihrer direkten Führungskräfte, dass sie diesen Bedarf an Sinnhaftigkeit, der ständig entsteht - bei jeder Entscheidung, die irgendwo gefällt wird, fragt man sich ja, warum? - ,dass dieser Bedarf auch gestillt wird. Also insofern ist es so schon so, dass wir heute eine Menge wissen, was zu tun ist, dass aber letztlich es eine Frage der Qualität einer Organisation ist, ob sie Geld zum Fenster rauswirft, indem sie die Menschen in die innere Kündigung treibt oder in die Krankheit, oder ob sie das nicht tut. Und dieses Arbeiten mit Angst und mit mangelhafter Sinnhaftigkeit, mit Druck. Das geht nicht mehr. Das ist sozusagen 19. Jahrhundert und früher. Also, die Menschen sind heute alle gut ausgebildet, sie haben Erwartungen, sie haben Wünsche an ihre Arbeit. Und da spielt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Chef und mit den Kollegen ganz vorne. Und die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit steht auch ganz vorne.

00:21:17: Wenn ich das mal mit meiner Elterngeneration vergleiche. Ich kann mich nicht an ein Gespräch erinnern, dass die abends zu Hause saßen und sagen, "Oh Gott, der Job ist so sinnlos!". War er. Ich glaube, an ganz vielen Stellen war dieses Empfinden da, aber es war nicht wichtig. Also, hat sich das über die jetzt generell letzten zwei, drei, vier Generationen so stark geshiftet, dass dieser... Und ich unterstütze das ja absolut, da trete ich ja jeden Tag für an, dass Unternehmen sinnhaft werden im Sinne von nicht die Gewinnmaximierung oder der Gewinn ist der Sinn. Sondern wir reden über inhaltliche Ziele, also wie können wir... Neudeutsch Purpose genannt. Aber manchmal wird es dann auch schnell so ein bisschen hochstilisiert und verklausuliert. Ich war letztens auf einer Keynote. Der sagte, er würde diese ganze Diskussion nicht verstehen. Der Sinn eines Unternehmens ist, dem Kunden zu dienen. Ja, und ich glaube auch, wenn man mal sowas als Startpunkt nimmt, dann ist es ja auch - nicht für jeden möglicherweise - aber für viele Leute auch inhaltlich eine gute Orientierung, ein guter Sinn. Aber meine Frage, was ist denn in Ihrer Beobachtung... Was hat denn so zu diesem Shift geführt? Dass es heute den Leuten noch mal deutlich wichtiger ist? Ist es wirklich nur die Ausbildung oder liegt es daran, dass wir vielleicht auch zunehmend in der Generation sind... Meine Eltern noch so nachkriegs-, also beeinflusst von den Nachkriegsgenerationen, wo Arbeit vielleicht noch viel mehr diesen ökonomischen, diesen Absicherungsgedanken hatte. Und heute... Letztens sagte mir auch eine andere Gesprächsteilnehmer Ja, heute, wer muss sich heute noch um seine, um seine wirkliche echte Absicherung Gedanken machen? Das ist oft durch die Vorgeneration haben die schon so viel geleistet und gearbeitet? Wie schätzen Sie das ein? Also woher kommt die?

00:22:57: Ja, richtig. Ich meine, klar, wir verdienen heute deutlich mehr, als das früher der Fall war. Wir haben ganz andere Möglichkeiten, als es früher der Fall war. Meine Elterngeneration, das war eine Sensation, dass meine Eltern, ich weiß nicht aus welchen Gründen, die Möglichkeit hatten, in den frühen Jahren nach Italien zu reisen und, und, und. Und das war ja eigentlich im Grunde genommen nur ganz wenigen vorbehalten. Heute ist es so, dass die Menschen weltweit durch die Gegend fliegen, manchmal mehr als dem Globus guttut. Also, wir haben auf der einen Seite eine Befriedigung der materiellen Bedürfnisse, die natürlich einen starken Vorrang haben. Ich möchte gerne ein Dach über dem Kopf haben. Ich möchte gerne gut zu essen haben. Ich möchte gerne, dass es meinen Verwandten und meiner Umwelt gut geht. Aber in dem Moment, wo das dann gesichert ist, diese materiell weitgehend gesichert sind, dann stellen sich schon solche Fragen. Und dann kommt natürlich auch das Thema Bildung dazu. Ich meine, wir haben heute etwa 50 % der Menschen bei uns, die Abitur machen. Und davon geht wieder ein erheblicher Teil in die Universitäten. Also wir haben eine extrem hoch und gut ausgebildete Erwerbsbevölkerung, der man einfach mit solchen Command Control Maßnahmen nicht mehr beikommt. Das möchten die Menschen nicht mehr. Sie möchten als Menschen angesprochen werden. Sie möchten, dass sie auch intrinsisch motiviert werden, nicht nur durch irgendwelche lächerlichen Boni oder sagen wir mal morgens den grünen Apfel.

00:24:38: Das sind alles Dinge, da fühlen sich Menschen doch erniedrigt, wenn man sie auf diesem Niveau glaubt befriedigen zu können. Also, das ist einfach... Da hat sich sehr vieles geändert. Wir leben in einer Kopfarbeiter-Gesellschaft und die Kopfarbeiter, die wollen eben auch, dass nicht nur finanzielle Ziele erreicht werden, die natürlich auch, sondern auch nichtfinanzielle Ziele. Und da sind wir bei der ESG Initiative der Europäischen Union, die heute Unternehmen vorschreibt ab diesem Jahr (Unternehmen ab 250 Mitarbeitern), dass sie eine erweiterte Berichterstattung vorlegen müssen. Sie müssen berichten, wie sie mit der Umwelt umgehen, was ihre sozialen Ziele sind und wie sie geführt werden, diese Unternehmen. Also Korruptionsbekämpfung und Ähnliches mehr. Also, wir haben hier auf der einen Seite die Beschäftigten, die neue Erwartungen haben. Wir haben eine Weltgesellschaft, die neue Erwartungen hat. Wir haben neue Ziele, wir müssen die Umwelt schützen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die soziale Gerechtigkeit im Auge behalten wird. Ganz großer Punkt. Soziale Ungleichheit spielt eine immer größere Rolle. Und die Zwei-Drittel-Gesellschaft. Also, das sind alles Dinge, die im Grunde die Menschen heute wahrnehmen und auch aufnehmen und natürlich auch verarbeiten. Und sich dann schon die Frage stellen, ja, wie geht mein eigener Arbeitgeber eigentlich damit um? Und wenn sie dann feststellen, dass da nichts passiert oder zu wenig, dass man ihnen den goldenen Apfel serviert, frisches Wasser gibt, zum Trinken, ja, vielleicht sogar noch einen Yogakurs umsonst.

00:26:26: Ist ja wunderbar. Ich mache gern Yoga, aber im Zweifelsfall wird das nicht das Problem lösen. Wenn ich ein Problem habe, beispielsweise das Gefühl habe, ich komme hier nicht weiter oder ich werde blockiert von meinem Chef oder was auch immer. Also, wir sind dann wieder bei diesen... Es sind zwei zentrale Dinge, die ich immer wieder empfehle, Führungskräfte schulen, Führungskräfte anders aus- und weiterbilden, auswählen, mehr in Richtung nicht nur fachliches Wissen, sondern vor allem soziale Kompetenz, Empathievermögen, Kenntnisse über Selbstorganisation. Wie kann ich Mitarbeiter dazu bringen, ihre Arbeit selber zu organisieren, klar, ihre Ziele zu beachten, das Budget zu beachten, die Ziele zu beachten, aber eben im Grunde genommen im Kollektiv gut zu funktionieren. Das sind alles Dinge, die letztlich, wo die Führungskräfte verantwortlich sind, auch die Beschäftigten. Aber das kann bei den Beschäftigten nur funktionieren, wenn die Führungskräfte das unterstützen. Also, dieser ganze Trend in Richtung Selbstorganisation, der ja ganz offenkundig ist, hängt eben damit zusammen, dass die Menschen mehr Handlungsspielraum haben wollen. Wir möchten gerne selber auch bestimmt ihre Arbeit organisieren. Da sind wir wieder beim Thema Homeoffice. Na klar. Warum ist das so mit offenen Armen begrüßt worden in Deutschland? Meine These ist eindeutig.

00:27:51: Sie wollten dem Vorgesetzten entfliehen. Sie wollten der Dauerkontrolle, dem Mikromanagement entfliehen. Jetzt allerdings, nach einiger Zeit, stellt man fest, oh, die Bindung zu meinem Unternehmen wird aber schwächer. Ich erfahre weniger, was da passiert, wenn ich dort im Homeoffice bin. Also die Nachteile werden jetzt auch erkennbar. Aber meines Erachtens durchaus überwiegen die Vorteile, wenn man gleichzeitig eben Führungskräfte schult, wie sie Führung auf Distanz ausüben können, nicht mehr nur Micromanagement. Wenn ich jeden morgens um acht gucke, ob alle da sind, ob sie dann fleißig irgendwas machen, ob sie das Richtige machen, ist eine andere Frage. Also, ich sag mal, dieses Homeoffice wird bleiben. Es ist gekommen, um zu bleiben, wie man so schön sagt. Es gilt natürlich nicht für alle. Es wird immer Menschen geben, für die das nicht in Frage kommt. Pflegekräfte, Ärzte, Lehrer, Viele andere mehr. Das wird ein Problem geben, wenn man dieses Privileg ihnen nicht einräumen kann. Da muss man sie entsprechend dafür kompensieren. Wir haben eine ganze Menge von Arbeiten vor uns, um diesen Umbruchprozess, der hier im Fehlzeiten-Report angesprochen wird in seinen, was weiß ich, 700 Seiten - kann man ja kaum noch tragen. Aber gut, dieser Umbruchprozess, der wirft viele neue Fragen auf, die aber durchaus dazu beitragen können, auch unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft zu renovieren, sie innovationsfreudiger zu machen, sie agiler zu machen und flexibler zu machen.

00:29:33: Das heißt aber auch wenn ich über dieses Wort, das ich an sich schon, also, ein bisschen technokratisch empfinde. Aber wenn man über sowas wie betriebliches Gesundheitsmanagement spricht, dann heißt das ja nichts anderes als das, was Sie sagen. Ist ja eigentlich im Kern People and Culture, Personalentwicklung, Mitarbeiter-, Organisationsentwicklung. Das heißt, ich muss eigentlich anfangen... Und um das auch noch mal mit einer anderen Ihrer Anmerkungen zu verknüpfen, wenn ich... Ich meine, natürlich spielen auch Zahlen und Sie haben ja auch den Deming Cycle angesprochen.... Das heißt, ich sollte mir ja auch immer Zahlen angucken, Hypothesen ableiten. Ich glaube, Sie haben heute schon eine sehr gewagte aufgestellt, dass nämlich der Fachkräftemangel ein Stück weit auch hausgemacht ist. Ja, zumindest ja. Und da allein diese Hypothese mal zu vertreten und zu gucken, was tue ich denn und wie verändern sich denn vielleicht meine Fehlzeitentage? Was würden Sie denn im Unternehmen empfehlen? Welche, also welche KPIs sollte ich vielleicht tracken? Zu den Maßnahmen haben Sie ja eben auch schon was gesagt. Aber vielleicht auch da noch mal so ein kurzes Schleifchen dran. Weil dann komme ich ja überhaupt nur in eine gute Steuerung rein, dass ich sagen kann, das passiert, das will ich vermeiden. Ja, Ziel ist, diese Fehlzeiten runter zu kriegen. Gleichzeitig, wenn es geht, noch bei einer hohen Zufriedenheit der Leute. Und gleichzeitig habe ich immer wieder Maßnahmen, die ich auch tue, um da überhaupt in so eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung rein zu kommen. Also, welche Zahlen würden Sie empfehlen, sollten Unternehmen sich checken und b die Maßnahmen noch mal.

00:31:07: Also das ist ein guter Punkt. Als Professor würde ich jetzt also erstmal darauf verweisen, dass wir darüber auch schon eine ganze Menge veröffentlicht haben, gerade was auch diese Kennzahlen-Problematik betrifft. Ich sage mal, kann das ganz einfach sich machen. Nehmen Sie nur mal die Kennzahl Fehlzeiten. Es gibt in vielen Unternehmen/Organisationen immer noch eine Scheu, diese überhaupt genau zu dokumentieren und öffentlich zu machen. Fragen Sie mal eine Behörde bei Ihnen zu Hause, ob Sie ihnen sagen können, wie die Fehlzeiten sind. Sie kriegen diese Zahlen nicht so ohne Weiteres. Auch Unternehmen, dann ist oft auch... Da sagen die Mitarbeiter zu Recht, solange der Datenschutz hier nicht gewährleistet wird bei uns, sind wir auch nicht bereit, die Fehlzeiten heranzuziehen, um darüber zu diskutieren. Also, es gibt hier viele Vorurteile, aber ich sage mal, die müssen wir abbauen. Es ist also schon diese Angst, mit dieser einen Kennzahl umzugehen und darüber zu diskutieren, zeigt, dass wir in einer Misstrauenskultur leben. Die Menschen vertrauen nicht einander. Die Führungskräfte misstrauen ihren Beschäftigten nach dem Motto "Die neigen alle zum Blaumachen." und "Die arbeiten nur, wenn sie Lust haben!", richtig? Und umgekehrt natürlich auch auf Seiten der Beschäftigten. Die Angst vor ihren Führungskräften, dass sie sagen, ja, wenn ich hier mehr von mir preisgebe, zum Beispiel auch in solchen Gesprächen, bei der Rückkehr nach langer Krankheit, die ja auch nicht genutzt werden, ausreichend. Das sind alles hier Gefühle, die hier eine Rolle spielen, Angstgefühle, Misstrauensgefühle, die unsere Arbeitswelt vergiften und dazu eben auch beitragen, dass der größte Teil der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit sind angstbedingte Krankheiten, also Ängste, chronische Ängste. Nicht nur, aber sehr stark auch vor allem bei Frauen ausgebildet, die hier eine Rolle spielen. An zweiter Stelle depressive Episoden und Burnout. Also, beim Burnout ist das ganz klar abzuzeichnen, die starke Steigerung. Und eben auch der Hinweis darauf, dass hier die Beschäftigten nicht gut behandelt werden, nicht gut beobachtet werden, nicht gut unterstützt werden, damit ihnen sowas nicht passiert.

00:33:35: Ich glaube, und das sagten Sie zwischendurch ja auch mal, zumindest glaube ich das gehört zu haben. Aber in vielen Unternehmen, das birgt ja eine Verantwortung auch an Inhaber, Management... Aber sehr oft wird so dieses Gesundheitsmanagement auf Externalitäten reduziert. Also, wir haben hier einen Obstkorb stehen, die Leute können zum Sportkurs gehen, das ist alles. Ich finde das super, wenn die Leute es in Anspruch nehmen, weil auch das ist ja, macht ja was mit einem. Aber es ist... Ich habe manchmal den Eindruck, da an der Stelle hört die Verantwortung dann auch auf. Also, wir haben da was gemacht, jetzt steht hier ein bisschen Obst rum und die Leute können gesund essen, können zum Sport gehen. Wir bieten da noch was an, hier noch ein bisschen Yoga, das ist doch ausreichend. Aber da geht es ja eigentlich erst los, dass ich mir über nämlich viel unbequemere Fragen stelle, weil die natürlich auch was mit einer Organisation machen. Also, was ist denn unser Sinn?

00:34:31: Diese ganze Verhaltensprävention, wie wir das nennen, dass wir die Verantwortung für die Gesundheit bei den Beschäftigten belassen und sagen, ihr müsst euch anders ernähren, ihr müsst mit eurem Stress besser umgehen, ihr müsst euch mehr bewegen. Das sind ja alles im Grunde Bemühungen, die im Prinzip nicht falsch sind, die aber nur die eine Seite der Medaille betrachten, nämlich die Verantwortung der Beschäftigten für ihre Gesundheit, während die andere Seite der Medaille ist ja die Verantwortung der Unternehmen und der Organisation für die Gesundheit der Beschäftigten. Also, und da sind wir dann bei dem Stichwort Personal- und Organisationsentwicklung ganz klar. Also, ein Gesundheitsmanagement, das datengesteuert ist und problemgerecht arbeitet und wirksam. Das ist eben im Grunde genommen eine moderne Personalführung. Ja, ganz einfach.

00:35:30: Ja, sehr schön. Dann würde ich mal versuchen, einen kleinen Bogen zu spannen, über die letzten 35 Minuten. Also, Fakt ist, da brauchen wir nicht mehr drüber reden... Kann jeder in 700 Seiten nachlesen. Ich muss dazu sagen, ich habe 700 Seiten nicht gelesen. Die sind nicht nur schwer zu tragen, die sind auch [schwer] zu verarbeiten. Man braucht da ein bisschen Zeit für. Aber wir haben eine rasante, starke und stetig steigende Zunahme psychischer Erkrankungen. Also nicht nur die Krankheitstage absolut steigen, sondern da auch noch mal relativ ausgeprägt relativ stark psychische Erkrankungen. Sie haben so ein bisschen eine, ich finde, provokante These, aber ich finde, die hat was Kerniges, dass der Fachkräftemangel eigentlich ein Stück weit hausgemacht ist, weil ich doch mal zunehmend nicht nur nach Richtung Politik schauen sollte. Wie kriege ich eigentlich hier mehr Leute, bessere Leute? Und nochmal, es ist jetzt vielleicht ein bisschen überspitzt gesagt, aber es ist auch einfach mal eine gute andere Perspektive, dass ich mal anfangen kann, darüber nachzudenken, zu schauen, was tue ich, damit die Leute, die heute bei mir sind. Ich will jetzt das Wort leistungsfähiger nicht sagen, weil das hat dann schon wieder so ein bisschen die Tendenz auf diese wir reden hier über Leistungsverdichtung, aber dass es denen besser geht, dass die weniger krank sind, dass die damit in Summe natürlich dann auch leistungsfähiger sind, aber...

00:36:48: ... bessere Arbeit leisten, ganz einfach.

00:36:50: Bessere Arbeit leisten, ja genau. Dann der dritte Punkt, der für mich sehr einprägsam war, dass die Gründe für die Erkrankung, für psychische Erkrankungen vor allem an der Interaktion von Mensch und Mensch zu suchen sind. Also, fehlende Transparenz, Leute werden nicht eingebunden, keine Möglichkeit der Mitgestaltung, schlechte Führungskraft. Dass das die Leute nachher am Ende erst krank macht oder im schlimmsten Fall, dass sie sogar Angst kriegen, was ja katastrophal ist. Und dann, musste ich jetzt eben auch noch mal wirklich drüber nachdenken, weil was sie sagen, ist ja, hey, wenn ich Obstkörbe aufstelle, Yogakurse anbiete, dann delegiere ich quasi die Verantwortung für die Gesundheit immer noch an den Mitarbeiter, statt das auch als eine gemeinsame Verantwortung zu betrachten und zu sagen, ich nehme als Arbeitnehmer auch meine Verantwortung an, ich schaffe hier einen Raum, in dem du, in dem es dir zumindest psychisch gut geht. Wenn du deswegen immer noch keinen Sport machst, nur Blödsinn ist, dann kann ich dir auch nicht mehr helfen. Aber zumindest von dieser anderen Seite habe ich hier alles getan, damit es dir gut geht. Und dann kann ich als Unternehmen nur noch anfangen, immer wieder an diesen Punkten zu arbeiten, mir mal ein paar Daten anzugucken und auch das fand ich einen sehr schönen Punkt, sich bei einer Diskussion über Fehlzeiten vielleicht nicht hinter dem Datenschutz zu verstecken, weil man könnte ja auch sagen, ist das nicht schon wieder Ausdruck und Ausdruck einer Misstrauenskultur, die uns diesen ganzen Schlamassel überhaupt erst eingebrockt hat?

00:38:18: Also, wir haben ja, will ich gerade noch mal sagen, wir haben genau dieses Thema Fehlzeiten und dann von einer großen Datenmenge untersucht und haben verschiedene Hypothesen durchgespielt. Und es kommt ganz klar heraus, dass der Arbeitskontext, vor allem der soziale Arbeitskontext, eine entscheidende Rolle spielt. Ob ich mich angezogen fühle von meiner Arbeit oder ob ich mich abgestoßen fühle von meiner Arbeit. Das sind ja die beiden neurobiologisch grundlegenden Handlungsreaktionen von Organismen, Annäherung oder Vermeidung. Nicht mehr. Und je mehr ich also an Informationen bekomme, dass ich hier gar nicht gar nicht wertgeschätzt werde oder man mir wesentliche Dinge vorenthält, umso mehr werde ich mich zurückziehen oder eben einen neuen Job suchen. Und das ist dann eben die Frage. Die Unternehmen, die werden das Rennen machen, die sich stärker um diese Fragen kümmern in der Zukunft, weil sie die besseren Leute kriegen. Ganz einfach. Ganz einfach. Je klüger, je besser sie sind, umso mehr achten sie auf solche Dinge. Und die sagen, ja gut, wenn ich das gleiche Geld oder vielleicht sogar etwas weniger verdiene nebenan und ich habe dann ein gutes Arbeitsklima, dann marschiere ich dahin.

00:39:32: Wobei das, was ich in solchen Diskussionen oft auch beobachte, dass das also und ich erlebe viele Unternehmen in einem Kontinuum und sich so ein bisschen auszutarieren zwischen wir kommen aus einer sehr Zahlen, Daten Fakten geprägten Welt wissen, dass das schlecht ist und bei manchen sehe ich so oder bei manchen Diskussionen habe ich auch den Eindruck, wir verlieren uns dann wieder auf der anderen Seite. Wir machen hier nur noch Feel Good Oasen, weil auch das kann ja nicht richtig sein für ein Unternehmen, sondern es muss eine sinnhafte Unternehmung sein, die dem Kunden dient, in denen es den Mitarbeitern gut geht. So ist es aber, in der es immer auch noch um Leistung geht. Und, ich weiß nicht, Leute wollen leisten, ja, Leute wollen leisten, wollen dafür anerkannt werden und haben ja auch. Ich habe noch nie oder nur wenig Leute kennengelernt, wo ich nicht den Eindruck hatte, die haben richtig Bock, die wollen richtig. Die brauchen halt nur die Möglichkeit, dann auch mal mitwirken zu dürfen und so mal laufen zu lassen.

00:40:31: Es ist also eine der Grunderkenntnisse, die in der amerikanischen Managementlehre schon seit McGregor und anderen, eigentlich seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts klar ist, dass Zurückhaltung bei der Arbeit, sogenannter Dienst nach Vorschrift, mangelhafte Initiativkraft der Beschäftigte, das sind alles erlernte Verhaltensweisen, erlernte Verhaltensweisen, die es erlauben, den Mitarbeitern in einer solchen Umgebung zu überleben. Und solange ich dieses Falschlernen nicht korrigiere und das ist die Verantwortung der Unternehmen, ja, solange ich das nicht tue, werde ich natürlich immer die These vertreten, meine Mitarbeiter, wenn ich sie nicht kontrolliere, leisten sie keine Arbeit. Punkt. Und das ist die allergrößte Dummheit, die heute meines Erachtens eben immer noch verbreitet ist von einem Menschenbild auszugehen, das die Menschen nicht leisten wollen, sondern es ist so, dass Menschen möchten leisten, aber sie möchten wissen, wofür sie leisten. Das ist bei der Sinnhaftigkeit der Frage und das ist Sache der Führung und der Vorgesetzten, das zu vermitteln.

00:41:37: Ja, dann hoffe ich mal, es ist uns heute gelungen, dafür für sinnhaftere Unternehmen, die mehr Möglichkeit der Mitgestaltung geben, eine Lanze zu brechen. Und zumindest, wem das bisher ein bisschen zu sozialromantisch war, dem haben wir heute auch noch mitgegeben, guckt doch einfach Daten an, da kannst du es auch noch nachweisen. Und es gibt auch ein unternehmerisches Interesse daran. Sehr schön. Herr Badura, vielen, vielen Dank! Es war interessant, mir eine große Freude. Dankeschön.

00:42:05: Danke an Sie. Tschüss. Auf Wiederhören.

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